Kritik zu Die Herrlichkeit des Lebens

© Majestic Filmverleih

In der Adaption des gleichnamigen Romans von Michael Kumpfmüller geht es um Franz Kafka in seinen letzten Lebensjahren – und vor allem um seine letzte Liebe zur in Berlin lebenden Dora Diamant

Bewertung: 4
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5 (Stimmen: 1)

Seinen ersten Auftritt hat Franz Kafka als Geschichtenerzähler. Im mecklenburgischen Ostseebad Graal-Müritz entfaltet er im Sommer 1923 vor einer beglückten Kinderschar seine »Kleine Fabel«. Eine Maus steht in einem Zimmer, in dessen Winkel eine Falle auf sie wartet. Eine ausweglos anmutende Situation. Die Pointe der Fabel: »Du musst nur die Laufrichtung ändern«, sagte die Katze und fraß sie. In wenigen Worten erfasst der 1883 geborene Kafka das Ziel allen Lebens: den Tod. 

Der Tod ist ein zentrales Motiv von Georg Maas' und Judith Kaufmanns Film »Die Herrlichkeit des Lebens«. Ungeachtet der Tatsache, dass Kafka sich 1923 an der Ostsee zwar nicht glücklich, aber immerhin »auf der Schwelle des Glücks« fühlt, wie er seinem Freund Max Brod schreibt. Und ungeachtet der Tatsache, dass ihm hier seine große Liebe Dora Diamant begegnet. Ein Jahr später stirbt der lungenkranke Autor in einem Sanatorium in Österreich.

Die Geschichte, die Maas und Drehbuch-Koautor Michael Gutmann nach dem gleichnamigen Roman von Michael Kumpfmüller erzählen, hat zwangsläufig Züge einer Elegie. Der Film feiert aber auch die Glücksmomente einer Beziehung. Gespräche, Reflexionen, Briefe und Ausschnitte aus Werken wie »Die Verwandlung« spiegeln die magische Wirkung von Literatur. Kafkas Kunst nimmt in diesem Kinowerk Gestalt an. Und seine komplexe, von Ängsten und Traumata geprägte Biografie, wie unter anderem der »Brief an den Vater« illustriert. 

In erster Linie gehört der Film den Schauspielern: Sabin Tambrea (Kafka) und Henriette Confurius (Dora). Sie verkörpern ein Paar, das wie geschaffen füreinander erscheint. Er der Dichter und Denker, der in gehobenem Duktus über Dora, das Leben und die Schriftstellerei spricht. Sie die Tänzerin, bildungshungrig, aber auch praktisch veranlagt. Unter Doras Aufsicht schält Kafka seine erste Kartoffel: »Zum Körper hin.« Das gemeinsame Leben in Berlin zeichnet Judith Kaufmanns Kamera als Kontrast zur sonnigen Ostsee. Düstere, feuchte und kalte Zimmer sowie Asche und Emissionen aus dem Ofen in Frau Kasulkes Wohnung beschleunigen den Weg Kafkas vom Geliebten zum Pflegefall. In Tambreas Darstellung ist er ein Gezeichneter, leichenblass wie Nosferatu. Aber dieser Dichter bestimmt mit brütender, fiebriger Intensität sein Schicksal. »Ich bin hier, weil ich das will«, beharrt er auf dem Standort Berlin. Kafka selbst ist sein härtester Kritiker. Was nichts taugt, kommt ins Feuer: »Alles nur Anfänge, Fragmente.«

Der Film entflieht seinem weitgehend konventionellen Rahmen ein ums andere Mal mit surrealen Effekten. Sie übersetzen Doras Empfindungen in Bilder. Vom Sanatorium führt für sie ein direkter Weg zum Ostseestrand. Vergangenheit und Gegenwart vereinen sich hier auf poetische Weise. Confurius gelingen kostbare, unvergessliche Momente. In einer der stärksten Szenen machen sich die Liebenden auf den Weg zum Heurigen in einem Weinberg. Dort betrachtet Dora den kranken Kafka. In ihren Augen vollzieht sich der letzte Akt eines Liebesdramas ohne Happy End.

Meinung zum Thema

Kommentare

– Über dem Leben das Werk ein bisschen vergessen –
"Sie verkörpern ein Paar, das wie geschaffen füreinander erscheint", schreibt Dietmar Kanthak. Dem stimme ich zu, sofern man das Wörtchen "erscheint" betont. Und es ist der Film selbst, der diesen Schein erweckt, ja wohl auch zu erwecken sucht. Wir Zuschauer dürfen in der Folge zusammen mit dem Liebespaar das letzte Jahr Franz Kafkas erleben, eine herrliche und schlimme Zeit. Schlimm vor allem, weil ihr tragisches Ende vorgezeichnet ist, der frühe Tod des tuberkulosekranken Schriftstellers, der erst posthum weltberühmt werden sollte. Und der doch fast alles für unzureichend hielt, was er jemals schrieb.
Eben hierin liegt ein wesentlicher Unterschied zur Art und Weise Dora Diamants, die praktisch nicht nur beim Kartoffelschälen ist, sondern darüberhinaus als begabte und hingebungsvolle Kinder-Erzieherin im Jüdischen Volksheim. Sowohl ihre eigene Arbeit als auch diejenige Kafkas hält sie für gut und wichtig, das spürt er, ihre Stärke gibt ihm Kraft, wenngleich seine Selbstzweifel nie verschwinden. Sein Glück aber ist, bis zuletzt Dora Diamant als Geliebte und Max Brod als treuen Freund um sich zu haben.
Soweit stimmt alles an dem wunderbaren Film, nur die dunkle oder zumindest ambivalente Seite inform dessen, was Kafka gerade auch in jener Zeit verfasste, bleibt m.E. zu sehr am Rande. Sicherlich kann in ca. 1,5 Stunden nicht alles dargestellt werden, doch das Rätselhafte an Kafkas Werk hätte durchaus etwas tiefergehend erfasst werden dürfen.
Z.B. erzählt Kafka gleich zu Beginn der Handlung einer Kinderschar am Ostseestrand die "Kleine Fabel" von der Maus, welcher nur die Wahl bleibt zwischen dem Tod in der Falle und dem Gefressenwerden durch die Katze. Eigentlich keine Geschichte, an der sich Kinder begeistern, doch vielleicht muss man weiterdenken: Es sind jüdische Kinder im Jahr 1923, zehn Jahre später müssen sie sich vielleicht genauso fühlen wie diese Maus.
Das Märchen von den Puppenbriefen wiederum wird nur andeutungsweise eingeblendet, der Schluss mit der Heirat der Puppe, die dem kleinen Mädchen ihr Hochzeitsglück per Post mitteilt, bleibt leider unerwähnt. Dabei träumte der Autor erstmals selbst davon, eine Frau – eben eine wie Dora zu heiraten.
Gar nicht zur Sprache kommt Josefine, die Sängerin aus dem Volk der Mäuse. Kafka schrieb das in der gemeinsamen, aber kalten Berliner Winter-Wohnung: Eine Parabel über Künstler, die im Grunde nichts Besonderes können, was andere nicht auch können würden, die man indes bewundert – wer weiß warum. So sah sich Kafka offenbar selbst – und wenn der Künstler, wie Josefine es tut, am Ende verschwindet, vergisst man ihn bald. War Kafkas letzte Geschichte demnach auch eine Art Verabschiedung in eigener Sache? Gut möglich.
Insgesamt betrachtet tut es dem Film allerdings keinen großen Abbruch, dass er manches offenlässt bzw. über dem Leben das Werk ein bisschen vergisst. Immerhin kann er ja Einstieg sein, sich z.B. mit den genannten drei Texten im Nachgang zu befassen: Die kleine Fabel, die Puppenbriefe und Josefine. Lassen sie einen doch besser noch verstehen, was im Film zu sehen ist, wenn sie nicht für den einen oder anderen überhaupt zum Einstieg in Kafka-Lektüre werden.

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