Kritik zu Die Fabelmans
»Vor dieser Geschichte bin ich geflohen, seit ich 17 war«, sagte Steven Spielberg, als er den Golden Globe für die beste Regie entgegennahm. Welches Glück, dass er sich ihr endlich gestellt hat. Er erzählt von seiner glücklichen Kindheit, den ersten zielsicheren Schritten als Filmemacher und einem Familiengeheimnis, das sein Leben prägte
Der Film beginnt genau dort, wo er beginnen sollte: im Kino. Im Jahr 1952 wartet der kleine Sammy mit seinen Eltern in der Schlange vor einem Filmpalast, in dem »Die größte Schau der Welt« gezeigt wird. Allerdings hadert der Achtjährige noch mit seiner späteren Bestimmung. Das Dunkel des Saals, den er betreten soll, und die große Leinwand schüchtern ihn ein. Seine Eltern müssen mit Engelszungen auf ihn einreden. Der Vater erklärt begeistert, wie eine Filmprojektion funktioniert. Und die Mutter verspricht, gleich werde er Träume sehen, die er nie vergessen wird. Aber Träume machen ihm Angst.
An diesem Abend wird Sammy sie auf einen Schlag verlieren. Mit großen Augen verfolgt er das prächtige Spektakel auf der Leinwand. Besonders das Eisenbahnunglück in Cecil B. DeMilles Zirkusfilm fasziniert ihn. Der Junge ist in einen Bann geschlagen, der nie aufhören soll. Wie gut, dass Weihnachten vor der Tür steht (besser gesagt: Chanukka, denn die Fabelmans sind Juden) und er sich eine Spielzeugeisenbahn wünschen kann. Nun stellt er die Filmszene wieder und wieder nach – und zu seinem großen Glück gibt es im Haushalt eine Kamera, mit der er den Zusammenstoß filmen kann. Der erste Kinoabend war eine glückliche Konjunktion. Eine Leidenschaft ist geboren.
In »Die Fabelmans« blickt Steven Spielberg zurück auf seine Kindheit und Jugend. Der Filmtitel beharrt darauf, dass bei dieser Liebeserklärung an das Kino und seine Eltern auch Erfindung mit ihm Spiel ist. Der Regisseur hat gewissermaßen eine verbürgte Fantasie gedreht. Man merkt rasch, woher die Filmfamilien stammen, die Spielberg bisher in Szene setzte: immer etwas treuherzig, aber nie reizarm und oft mit Witz. Sammy wächst in einem Mittelklassehaushalt auf, in dem Wärme und Optimismus herrschen. Vater Burt (Paul Dano) ist ein erfolgreicher Ingenieur, Mutter Mitzi (Michelle Williams) gab ihre Karriere als Pianistin auf, als das erste Kind kam. Eine vergnügte Exzentrik hat sie sich bewahrt. Der Vater Techniker, die Mutter Künstlerin: Das wird ein zweifaches Erbe für den späteren Filmemacher sein. Sammys Schwestern wiederum sind lebhafte, eigensinnige Gefährtinnen. Bennie (Seth Rogen), der beste Freund des Vaters, gehört mit dazu.
Das Drehbuch, das Spielberg zusammen mit Tony Kushner schrieb, nimmt sich viel Zeit für dieses behütete Heranwachsen. Es mäandert gar, aber das gehört sich für einen Familienfilm, denn anständigerweise erzählt der ein Dutzend Geschichten gleichzeitig. Burts berufliche Laufbahn etwa rekapituliert, wie nebenbei, die Entwicklung der amerikanischen Computerindustrie. Sie gibt dem Film seine Struktur: Bald zieht die Familie von New Jersey nach Arizona und schließlich nach Kalifornien. Zielstrebig schreitet die Handlung auch dank Sammy (als Teenager verkörpert von Gabriel LaBelle) voran, der eifrig Erfahrungen hinter der Kamera und am Schneidetisch sammelt. Mit seinen Pfadfinderfreunden dreht er Western und Kriegsfilme, die auch die Eltern der Kameraden begeistern. Derweil legen sich Schatten über die Ehe von Mitzi und Burt. Ihr Sohn gewinnt erst eine Ahnung davon, als er die Aufnahmen eines Familienausflugs montieren will. Hinter den Impressionen von Ausgelassenheit und Harmonie kommt eine andere Wahrheit zum Vorschein. Sprechen kann Sammy über seine Entdeckung nicht, aber er kann der Mutter seinen Film zeigen. Eine Lebenslektion.
In Kalifornien spitzen sich die Konflikte zu. Sammy steht nun zwischen den Eltern, die sich trennen wollen. Zudem wird er an der neuen Schule als Jude gemobbt. Es kündigt sich aber auch eine erste Liebesgeschichte an. In dem Film, den der Außenseiter über einen schulfreien Tag am Strand drehen soll, laufen alle Fäden zusammen. Seine Vorführung wird ein Triumph, aber Sammy erfährt an diesem Abend auch Enttäuschung und Verlust. Eine weitere Lebenslektion, nicht weniger anrührend als die vorangegangene und ebenso folgenreich: Der Jungregisseur lernt, dass er Verantwortung trägt für die Gefühle, die ein Film in den Menschen freisetzt, die sich auf der Leinwand wiedererkennen.
Ihre Meinung ist gefragt, Schreiben Sie uns