Kritik zu Die Erfindung der Wahrheit
Lobbyismus als hohe – und eiskalte – Kunst betrachtet: Jessica Chastain liefert in John Maddens wortgewandter Mischung aus Politthriller, Milieuschilderung und Charakterstudie eine ihrer besten Darstellungen
Sie ist ein Genie in ihrem Metier. Sie besitzt das strategische Geschick eines Feldherrn und die Unerbittlichkeit eines Raubtiers. Sie weiß immer, was zu tun ist, und sie tut es ohne Zögern. Miss Sloane ist die eiskalte Königin der Lobbyisten, und Jessica Chastain verleiht ihr eine unvergleichliche Aura. Ihr blasser Teint wird gerahmt von glattem feuerroten Haar und noch intensiver betont durch den blutroten Lippenstift. Miss Sloane ist eine Erscheinung von so kühler wie aggressiver Erotik, und wenn sie tatsächlich einmal lächelt, ist es fast immer ein triumphales Lächeln, das Lächeln der Macht. Ihr Leben dreht sich ausschließlich um ihren Job und ihre Obsession zu gewinnen – das heißt, dem Gegner immer einen Schritt voraus zu sein. Ihr Privatleben scheint sich auf Treffen mit Callboys zu beschränken; der Sex wird so nüchtern abgewickelt wie ein Friseurbesuch.
Phasenweise kann man bei »Die Erfindung der Wahrheit« den Eindruck gewinnen, dass es hier weniger um den Thrillerplot im Milieu der Lobbyisten und um ihre Kunst geht, mittels Kommunikation und auch Manipulation politische Entscheidungen zu beeinflussen, sondern mehr um das Porträt einer bestimmten Form von Persönlichkeitsstörung. Dabei ist es ein großes Plus des Films, dass er keine psychologischen Erklärungen für Miss Sloanes Verhalten liefert, keine Kindheitstraumata hervorkramt. Lediglich Aspekte wie ihr exzessiver Pillenkonsum und der bisweilen nur für eine Sekunde verlorene Blick deuten an, wie beschädigt die Seele unter ihrer Gewinnerrüstung wohl ist. Tiefere Motive für ihre Getriebenheit bleiben im Dunkeln.
So kreist der Film trotz glänzender Mitspieler ganz um diese Gestalt. Und so überspitzt wie ihr Charakter ist auch der Plot. Man darf von »Die Erfindung der Wahrheit« kein realistisches Abbild von Lobbyarbeit in Washington erwarten – zumal der Film als Prä-Trump-Produktion auf eine vergangene politische Landschaft zielt, was ihn in einigen Aspekten heute beinahe naiv wirken lässt.
Im Washington des Films befindet sich ein neues Gesetz in Planung, das den Zugang zu Waffen erschweren soll, weshalb die Waffenlobby die Kanzlei George Dupont beauftragt, dies zu verhindern. Elizabeth Sloane, der Star der Kanzlei, soll die Mission übernehmen. Doch nach einem Streit mit ihrem Boss (Sam Waterston) wechselt Sloane zur Überraschung aller die Seiten. Mitsamt ihrem Team geht sie zur kleinen Kanzlei des Idealisten Rodolpho Schmidt (Mark Strong) und kämpft nun gegen die Waffenlobby – allerdings nach wie vor mit allen Mitteln. Neben Erpressung von Politikern kann das auch heißen, das Vertrauen einer jungen, loyalen Mitarbeiterin (eindrucksvoll: Gugu Mbatha-Raw) gnadenlos zu missbrauchen.
Der Brite John Madden, bislang vor allem mit romantischen Seelenwärmern wie »Shakespeare in Love« oder »The Best Exotic Marigold Hotel« erfolgreich, beweist hier nach »Eine offene Rechnung« (2010) erneut, dass er auch das Thrillerhandwerk beherrscht. Mithilfe der Kameraarbeit von Sebastian Blenkov und insbesondere der hochdynamischen Montage von Alexander Berner, der viel für Tom Tykwer gearbeitet hat, schafft es Madden, dass die Melange aus Charakterstudie und Politthriller nie langweilig wird. Seine Inszenierung konzentriert sich auf die Figuren und deren Interaktion und beweist einen ausgeprägten Sinn für subtile visuelle Akzente – genau das richtige Rezept, um mit dem Dialogfeuerwerk des Drehbuchs umzugehen. Diesem allerdings merkt man an, dass es das Werk eines Debütanten ist: So viel Schärfe die verbalen Scharmützel aus der Feder von Jonathan Perera entfalten und so elegant immer wieder die Themen Wahrheit, Identität und Moral eingeflochten sind, so überambitioniert wirken spätestens im letzten Viertel des Films die immer unglaubwürdigeren Wendungen. Um wie viel stärker könnte dieser Film sein, hätten die Produzenten auf ein paar Überraschungen weniger bestanden. So verpufft am Ende einiges von der Wirkung der Geschichte, während immerhin Miss Sloane wenig sympathisch, aber sehr faszinierend bleibt.
Kommentare
Fehlerhafte Darstellung in der Kritik
Die hier vorgestellte Kritik empfinde ich grundsätzlich als gelungen. Jedoch gibt es einen Aspekt, der in der Kritik anders dargestellt wurde, als im Film. Nämlich ist es so, dass die Protagonisten sehr wohl auf ihre Kindheit eingeht. Hierbei ist es so, dass sie im Streit dem Callboy wütend schildert, dass sie so geworden ist, weil sie früher gezwungen gewesen ist zu lügen und zu manipulieren.
Gut gemacht
Jessica Chastain hat die Rolle ausgefüllt wie keine andere. Hat mich gleich an Molly´s Game erinnert.
Auch der "Knall" aus der Kindheit ist nun mal bei allen der mögliche Antrieb etwas zu tun oder nicht zu tun und manchmal es in perfektion zu tun.
Das "große" Gesetz, daß man beim Kauf auf eine Automatische Schüsswaffe zwei Wochen warten muss ist schon in einigen Filmen gut beleutet worden.
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