Kritik zu Die Entführung der U-Bahn Pelham 1 2 3
Tony Scott, der kleine Bruder von Ridley, gestaltet das Remake des New-York-Thrillers von 1974 zum Showcase für zwei grandios aufspielende Stars: Denzel Washington und John Travolta
Genrekino ist immer dann spannend, wenn es ein über die Standards hinausgehendes Plus an Raffinesse, Fantasie oder Charakterzeichnung bietet. Dieses Plus offerieren hier Denzel Washington und John Travolta, die den Kampf zwischen Gut und Böse zu einem psychologisch nuancenreichen, spielerisch elektrisierenden Duell der Charaktere ausformen. Für Action und äußere Spannung ist hinreichend gesorgt bei einem Geiselnehmerdrama, das sich im U-Bahn-Untergrund abspielt und eine ganze Stadt, New York, in Atem hält. Und wenn dann ein U-Bahn-Waggon führerlos und ungebremst über die Schienen donnert, gibt es auch noch als Zugabe eine Dosis Katastrophenfilm-Panik.
Vier schwerbewaffnete Gangster kapern die U-Bahn »Pelham 123«, nehmen Zugführer und Passagiere als Geiseln und wollen von der Stadt ein riesiges Lösegeld (10 Millionen Dollar und einen Cent) erpressen. Der Anführer der Bande, Ryder (John Travolta), der ein imposantes Hals-Tattoo und eine eiskalt gefährliche Arroganz zur Schau stellt, diktiert per Funk dem Fahrdienstleiter Garber (Denzel Washington) seine Forderungen: Binnen einer Stunde soll das Geld überbracht werden, bei Fristversäumnis wird eine Geisel nach der anderen im Minutentakt erschossen. Ryder kapriziert sich darauf, nur mit Garber verhandeln zu wollen, lobt dessen »sexy Stimme«, versucht, ihn einzuwickeln und zu »seinem Mann« zu machen. Wie in diesem Dialog: Ryder: »Du glaubst nicht, dass es Schicksal ist: du und ich?« Garber: »Ich bin nur ein Irgendjemand. Irgendjemand vor dem Mikrofon!« Ryder (lacht diabolisch): »Ich mag dich, Mann, du bist vielleicht mein letzter neuer Freund!«
Scharfschützen gehen im U-Bahn-Schacht in Stellung. Ryder erschießt den Zugführer. Die Passagiere erkennen entsetzt den Ernst der Lage. Der Bürgermeister rückt mit seinem Gefolge an. Fieberhaft und mit allerlei Pannen wird der Geldtransport organisiert. Die Uhr tickt. Das Herzstück des Thrillers aber bleibt das Verhandlungs-Hin-und-Her zwischen Ryder und Garber – ein Katz-und-Maus-Spiel zwischen dem zynischen Bösen, der sich als Rächer und Richter aufspreizt, und dem naiven Fahrdienstleiter: ein Jedermann, der jedoch über sich hinauswachsen kann und sich unvermutet zum tapferen Helden mausert. Der besondere Twist dieses Duells: Wie sich der Böse als Versucher geriert, wie er Garber in sein Vertrauen ziehen will, in seine »Du bist genau wie ich, Cowboy«-Strategie. Das Duo Washington-Travolta spielt gerade diesen Part grandios aus.
»Die Entführung der U-Bahn Pelham 1 2 3« ist ein Remake von Joseph Sargents »Stoppt die Todesfahrt der U-Bahn 123« mit Walter Matthau und Robert Shaw aus dem Jahr 1974, der ersten Verfilmung von John Godeys Roman »Abfahrt Pelham 1 Uhr 23«. Regisseur Tony Scott hält sich vergleichsweise eng an die Originalstory, modernisiert sie freilich ästhetisch (rasantes Schnitttempo) und technologisch. 1974 war das Jahr, in dem Nixon vom Präsidentenamt zurücktrat. Die US-Thriller jener Zeit – nicht nur die ausdrücklichen Politthriller – spiegelten das tiefgreifende Misstrauen der Bevölkerung gegenüber der offiziellen Politik. Wenn bei Sargent der Bürgermeister auftaucht, wird er von einem Pfeifkonzert der Menge empfangen.
Heute wird ein Thriller, bei dem die Stadt New York durch Geiselnehmer erpresst wird, auf dem Hintergrund des Twin-Tower-Terroranschlags gelesen und wahrgenommen, also auf dem Hintergrund des »Post 9/11«-Traumas. Das führt zu Akzentverschiebungen und neuen Konnotationen. Die Ryder-Figur erscheint wohl zuerst als psychopathischer Krimineller, aber sie erhält doch, vor allem wenn sie sich die zornerfüllte Rächerrolle anmaßt, Züge eines Terroristen. Die Garber-Figur fügt sich in das Bild vom kleinen Mann, der in der Gefahr Heldenformat gewinnen kann. Eine Figur hat Tony Scott neu eingefügt: den Fachmann der New Yorker Polizei für Verhandlungen mit Geiselnehmern. John Turturro konturiert ihn als coolen, souveränen Profi, der Garber zur Seite steht und ihn gegen das Dreinreden der Bürokraten verteidigt. Botschaft: Es sind die Tugenden des ausgekochten Profis und des naiv-tapferen Jedermanns, die eine Stadt vor den Anschlägen des Bösen retten können.
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