Kritik zu Der lange Sommer der Theorie
Mehr Theorie wagen! Irene von Alberti lotet in einer Mischung aus inszenierten Frauen-WG-Gesprächen und Interviews mit Philosophen den Zeitgeist aus
Martina hat auf dem Flohmarkt eine zerbrochene Kitschfigur entdeckt. Weil das Ding wie ein Jeff-Koons-Objekt aussieht, fragt sie den türkischen Trödler: »Entschuldigung, kann ich Ihnen hierfür 10 000 Dollar geben?« Szenen wie diese, in der die Punkerin trotzig ihre Ablehnung des kommerziellen Kunstbetriebs und der kapitalistischen Warenproduktion ausdrückt, machen experimentelles deutsches Kino nicht selten zum zähen Sehvergnügen. Nun hat Irene von Alberti, Produzentin ambitionierter Filme über Migration, die Klischeedichte noch einmal erhöht. Ihr neuer Film nach eigenem Buch ist eine Bestandsaufnahme des linksalternativ-feministischen Zeitgeistes. Drei bindungslose junge Frauen leben in einer Berliner Künstler-WG mit dem üblichen Siff-Schick. Ihr Mietvertrag ist ausgelaufen. Also müssen die Fotografin Martina (Martina Schöne-Radunski), die Schauspielerin Katja (Katja Weilandt) und die Regisseurin Nola (Julia Zange) sich Gedanken machen.
Wie sähe ihre Zukunft als Sekretärinnen im Jobcenter oder als mondäne Salondamen aus? Diese Fantasien spielt der Film als inszenierte Tagträume durch. Meistens sitzen die drei jedoch am Küchentisch und reden, reden, reden. Diskutiert wird über das Erstarken der Rechtspopulisten, die als neue Opposition auftreten und den Linken ihre traditionelle Rolle streitig machen. Wenn Frauen nach der Geburt ihrer Kinder wieder in den Beruf zurückkehren: ist das freie Entfaltung oder vielmehr »Staatsfeminismus«? Die nimmermüden Gesprächsrunden, in denen befreundete Schauspieler wie Susanne Bredehöft, Paula Knüpling und Lukas Steltner in Nebenrollen auftreten, haben eine bewusst hervorgekehrte Theaterhaftigkeit. Auf Identifikationsfiguren verzichtet der Film und reflektiert sich auf Schritt und Tritt selbst. Er ist so sehr »meta«, dass sogar das Geschirr, Kernthema jeder WG, von einem eigens engagierten Schauspieler abgewaschen wird.
Aufgebrochen wird diese Nabelschau der Berliner Szene durch eingeflochtene Interviews mit Philosophen, Soziologen und Theatermachern. Da die Gespräche nicht inszeniert sind, bekommt der kopflastige Entwurf doch noch eine spielerische Dimension. Leitmotivisch ist die Unterredung mit Philipp Felsch, von dessen Essay »Der lange Sommer der Theorie« der Filmtitel geborgt wird. Im Gegensatz zu den 68ern, die sich mehr mit Philosophien und Utopien auseinandergesetzt hätten, gäbe es heute, so Felschs These, ein intellektuelles Defizit. Dieses will Alberti kompensieren und mit ihrem Film mehr Theorie wagen. Das funktioniert nur in Ansätzen. Man hat nicht das Gefühl, dass Julia Zange mit Interviewpartnern wie dem Medientheoretiker Boris Groys auf Augenhöhe spricht. Es geht mehr um eine Anmutung von Intellektualität. Dennoch hat dieser Versuch, filmische Ausdruckformen und zeitgenössische Theorieproduktion miteinander zu verzahnen, seine Momente. Amüsant ist dieses offene Kunstwerk immer dann, wenn die Frauen ihre gebrauchten Männer per Stopptrick in Stehlampen verwandeln. Das hat etwas.
Kommentare
Ja, ähh
Wohl eher "Das große Gesülz", ein waberndes pseudo-intellektuelles Gelaber, das schnell ermüdet...
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