Kritik zu The Deep

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Eine Überlebensgeschichte, die fast eine Art Mythos ist und Forscher vor ein Rätsel stellte: Baltasar Kormákur erzählt von einem isländischen Seemann, der als einziger seiner Crew sechs Stunden im Eismeer überlebte

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Die Menschen auf den Westmann-Inseln vor der südlichen Küste Islands leben von und mit dem Meer. Der Fischfang ist die Haupteinnahmequelle und gerade im Winter, wenn die Stürme über den Nordatlantik toben, eine gefährliche Angelegenheit. Aber auch die Insel selbst birgt innere Gefahren. An den letzten Vulkanausbruch von 1973, als die Bevölkerung komplett evakuiert wurde und erst nach Wochen wieder in ihre von Asche verschütteten Häuser zurückkehren konnte, erinnern sich viele Einwohner der Hafenstadt Heimaey noch sehr genau. Wer hier lebt, lebt mit einer gewissen Ehrfurcht vor der Natur und ihren Gewalten.

In The Deep erzählt nun der isländische Filmemacher Baltasar Kormákur (101 Reykjavik, Contraband) von der Crew eines Fischtrawlers, der im Winter 1984 ausläuft und in Seenot gerät. Das Schiff kentert. Bei einer Wassertemperatur von fünf Grad sind die Überlebenschancen gering. Ein Crewmitglied nach dem anderen versinkt erfroren in den Tiefen des Meeres. Nur Gulli (Ólafur Darri Ólafsson) gelingt, was eigentlich unmöglich ist: Er schwimmt sechs Stunden durch die eiskalten Fluten, bis er an Land gespült wird und mit nackten Füßen durch die Lavasteinwüste zur nächsten Ortschaft klettert.

Die Fachleute stehen vor einem Rätsel. Gulli wird zu einem Forschungsprojekt nach Großbritannien eingeladen, wo er im eisigen Testbecken die härtesten Elitesoldaten mit seinen bedächtigen Schwimmbewegungenaussticht. Woher der unsportliche, dickleibige junge Mann seine Überlebenskraft bezogen hat, bleibt für die Wissenschaftler jedoch ein Mysterium und auch der Film hält sich mit einfachen Erklärungsmustern zurück. Ob es nun die Möwen waren, mit denen er auf hoher See gesprochen hat, die unerledigten Angelegenheiten, die er in seinem Leben noch in Ordnung bringen wollte, das Überlebenstraining in der Kindheit während des Vulkanausbruches 1973 oder ganz profan die dicke Fettschicht seines Körpers – das sind nur Spuren, die Kormákur legt, ohne sie zu einem schlüssigen Erklärungsmodell ausbauen zu wollen.

The Deep bekennt sich zum Wunder, das in dieser kleinen Fischergeschichte steckt, ohne daraus Seemannsgarn spinnen zu wollen. Der Film hält sich an die Bescheidenheit seines Helden und erzählt seine illustre Story mit größtmöglichem Realismus. Ohne Verklärung blickt der Film auf das raue Leben in der kleinen Gemeinde, wo Alkoholismus ebenso zum Alltag gehört wie Gott vertrauen. Hautnah zeigen Kormákur und sein Kameramann Bergsteinn Björgúlfsson die harte Arbeit an Bord des Schiffes und das karge Kajütendasein. Dem gegenüber stehen die Bilder der nächtlichen Verlorenheit auf hoher See, die nur punktuell über die Sichtweite des einsamen Schwimmers hinausgehen. Nicht digital animierte Wellengebirge, wie man sie aus Filmen wie Der Sturm (2000) kennt, sondern die spürbar unerbittliche Weite und Kälte des Meeres sorgen hier für den Respekt vor dieser authentischen Überlebensgeschichte, die das Zeug zum Mythos hat und dennoch mit dem wunderbar unaufdringlich agierenden Ólafur Darri Ólafsson einen robusten Antihelden ins Zentrum stellt.

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