Kritik zu Dead Girls Dancing
Drei Mädchen nach dem Abitur auf Roadtrip: Anna Roller erzählt in ihrem HFF-München-Abschlussfilm von der Reise als einem Realitätscheck, der für das Trio das Erwachsenwerden einläutet
Sie haben das Abitur in der Tasche und die Welt gehört ihnen. Ab geht’s mit dem Auto nach Italien, kurzerhand und ohne Plan drauflos, hinein in eine Freiheit, die es jetzt gibt und später, sehr wahrscheinlich, nie wieder. Denn dann beginnt, Ira, Ka und Malin mussten sich bei der Abiturfeier gerade eben erst Hinweise dieser Art bis zum Abwinken anhören, »der Ernst des Lebens«. Dem setzen die jungen Frauen – oder sind sie nicht vielmehr doch noch Mädchen? – ihre unbeschwerte Bereitschaft zur Grenzüberschreitung entgegen. Die allerdings in einer Welt, der die Möglichkeiten für das Unbeschwerte zunehmend abhandenkommen, unvorhergesehen schwerwiegende Folgen zeitigt.
»Dead Girls Dancing«, so der Titel von Anna Rollers nach eigenem Drehbuch inszeniertem Abschlussfilm an der HFF München, ist unschwer als Beitrag zum Coming-of-Age-Genre zu erkennen. Auch in seinem ästhetischen Gestus, den zuvörderst Felix Pfliegers agil geführte Kamera etabliert: als Blick, der ständig auf dem Sprung, als Aufmerksamkeit, die leicht ablenkbar, als Wahrnehmung, die für alles Neue offen ist – und also auch für jeden Blödsinn zu haben.
Unterwegs nämlich gabeln die drei Mädels eine junge Italienerin auf, Zoe, die vom Erbe der Hexen schwadroniert und das wilde, ungebundene Leben zu leben scheint. Mit einem Male hängt die Coolness-Latte noch ein wenig höher, und vor allem Ira sieht sich mit Gefühlen konfrontiert, die als lesbische Verliebtheit zu lesen sie sich noch nicht so recht getraut. Eine Reifenpanne tut das Übrige. Während am Horizont Rauchsäulen aufsteigen, erkundet das gestrandete Quartett ein Dorf in den Bergen, dessen Bewohner*innen wie von Geisterhand mitten aus ihrem Alltag weggezaubert worden scheinen. Eine Welt ohne Erwachsene ist natürlich eine traumhafte Gelegenheit, über die Stränge zu schlagen – woraufhin der viel bespöttelte Ernst des Lebens zurückschlägt, unsanfte Bruchlandung in der Wirklichkeit inklusive.
Unterstützt von ihren jungen Schauspielerinnen, allen voran Luna Jordan in der Rolle der Ira, gelingt Anna Roller mit »Dead Girls Dancing« eine über weite Strecken einnehmende und einleuchtende Darstellung weiblicher Gruppendynamik, wenn sich die Mädchenfrauen mit altersspezifischem Hang zur Dramatik in eine zivilisatorische Enthemmung hineingespenstern, in Wohnungen einbrechen, den Supermarkt plündern, das Terrain erobern und sich neu (er-)finden. Mitunter knirscht es zwar etwas in der Dramaturgie, weil die Improvisation so mancher Szene nicht immer ausreichend überzeugende Ergebnisse zeitigt. Doch der schließliche Umschlag der Perspektive vom eigenen Nabel als Mittelpunkt der Welt zu einer Welt, die weitaus größere Sorgen hat als die Befindlichkeiten eben dieses Nabels, ist von grausam-ernüchternder Treffsicherheit. Die jugendliche Exaltiertheit wird einem unsentimentalen Realitätscheck unterworfen, die träumenden Augen werden geöffnet und der Prozess des Erwachsenwerdens kann beginnen. Diesen Schockmoment in seiner ganzen Tragweite eingefangen zu haben, zeichnet Rollers Debüt aus.
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