Kritik zu Das Vorspiel
Schon in ihrem preisgekrönten Debüt »Der Architekt« erzählte Ina Weisse auf schonungslose Weise von der Brüchigkeit der Beziehungen innerhalb
einer Familie. Der zweite Spielfilm dieser beeindruckenden Regisseurin ist nun viel mehr als das Porträt einer Familie
Dass die Kunst den Menschen veredeln möge, war eine der Hoffnungen des deutschen Idealismus. Dass es auch zu unerwarteten Verhärtungen führen kann, sich um sie zu bemühen und darin nicht erfolgreich zu sein, zeigen nun gleich zwei deutsche Spielfilme. Sowohl in Jan-Ole Gersters »Lara« als auch in »Das Vorspiel« von Ina Weisse stehen Frauen im Mittelpunkt, deren Ringen um eine künstlerische Laufbahn unerfüllt geblieben ist. Beide geben die Verbitterung darüber im Mantel wohlmeinender Ratschläge an ihre Söhne weiter, die zugleich ihre Schüler sind.
Während »Lara« die gleichnamige Titelfigur an einem einzigen Tag, ihrem sechzigsten Geburtstag, durch Berlin begleitet, befragt »Das Vorspiel« seine Protagonistin Anna über einen längeren Zeitraum nach deren inneren Motiven und Abgründen. In einer beunruhigenden Vagheit und unbarmherzigen Strenge suchen beide Frauen gleichermaßen Distanz zu ihrer Umwelt wie zu ihrem einstigen Traum. Dass zumindest Lara (von Corinna Harfouch gespielt) eine Metapher auf die Mutterrolle in Angela Merkels Zeiten sein könnte, wurde bereits kühn geschlussfolgert (im Deutschlandradio). Doch wie verhält es sich mit Anna?
Die Zuschauer begegnen ihr zuerst bei dem titelgebenden »Vorspiel«. Als Lehrerin an einem renommierten Musikgymnasium nimmt Anna (Nina Hoss) gemeinsam mit ihren Kollegen das Defilee hoffnungsvoller Kandidaten ab. Anna setzt sich für einen jungen Violinisten ein, von dessen Begabung ihre Mitjurorin Frau Köhler (Sophie Rois) wenig hält. Der sachlich anmutende, dabei aber messerscharfe Schlagabtausch zwischen diesen beiden Frauen stimmt sogleich auf die vielfältigen Machtspiele ein, die alle Beziehungen Annas charakterisieren. Ob sie nun beim Mittagessen im Restaurant ständig den Tisch wechselt oder die Körperhaltung des ihr anvertrauten jungen Musikers bis zur Besessenheit und quasi gewaltsam korrigiert – Annas Leben scheint ein ständiger Kampf um Dominanz. Dass dies seine tragischen, aber auch sehr komischen Seiten hat, offenbart Weisses Film sehr zartfühlend (Kamera: Judith Kaufmann), macht aber zugleich klar: Dies hier ist ein Mensch, der gern eiskalte Luft in die Räume lässt und Disziplinlosigkeit als eine einzige Zumutung empfindet. »Es geht um die Haltung«, äußert Anna einmal, während sie versucht, aus Schülern Künstler zu machen. Doch es geht hier selbstredend nicht allein um die Haltung des Künstlers, geistig wie körperlich, sondern auch um Annas Haltung sich selbst und den anderen gegenüber. In ihrem schon fast verzweifelt wirkenden Drang, unbedingt Haltung zu bewahren, um letztlich ihre Unsicherheit zu überwinden, in ihrer beim eigenen Auftritt mit einem Quintett unvermutet hervorbrechenden Fragilität, unterscheidet sie sich wesentlich von der kaum irritierbaren Lara.
Das Vorspiel bildet gleich zweimal den Rahmen der Handlung: Anfangs werden die Zuschauer Zeuge, wie sich Annas künftiger Schüler Alexander (Ilja Monti) um einen Platz an der Schule bewirbt, und am Ende wartet man gemeinsam mit Anna auf sein Erscheinen zur entscheidenden Zwischenprüfung. Hier hält der Film eine ungemein böse Pointe bereit, in der sich der enorme Druck, der jeder höchsten Kunstanstrengung eingeschrieben ist, ein Ventil bahnt.
Überhaupt ist dies ein Film, der, wenn er über Haltung reflektiert, wohl auch eine Leistungsgesellschaft meint und deren aggressive Konkurrenzen und Abgrenzungsversuche, selbst wenn sie hier innerfamiliär ausagiert werden. In der Außenperspektive, vornehmlich aus der Sicht ihres Ehemanns Philippe (Simon Abkarian), und ihres Sohns Jonas (Serafin Mishiev) wird deutlich, aber dankenswerterweise nicht auserklärt, was für eine Zumutung Annas Unbedingtheit beim Zurichten der anderen darstellt. Letztlich folgt der Film einer zutiefst universellen Gratwanderung zwischen Minderwertigkeitsgefühlen und der Suche nach dem Absoluten.
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