Kritik zu Das Mädchen Wadjda
Haifaa Al Mansour dreht einen Kinderfilm, der in seiner klugen Beschränkung auf den Kosmos eines jungen Mädchens in Saudi-Arabien eine dem Zuschauer verborgene Welt öffnet
Es erheischt Aufmerksamkeit: der erste Film einer Regisseurin aus Saudi-Arabien! Doch wer Das Mädchen Wadjda gesehen hat, wird nachvollziehen können, dass man sich fast wünscht, der Film wäre frei von diesem Sensationsetikett, das augenblicklich zu einer Art Pflichtwahrnehmung aufruft. Denn das Schöne an Haifaa Al Mansours Film ist gerade seine Zwanglosigkeit und Leichtigkeit. Man kann ihn auch einfach als einen witzig-melancholischen Kinder- und Jugendfilm betrachten, mit einer berückend-forschen Hauptdarstellerin im Zentrum und einer völlig unkitischigen, trotzdem sehr berührenden Handlung.
Wadjda (Waad Mohammed) ist zehn und lebt mit ihrer Mutter (Reem Abdullah) zusammen in Riad. Der Vater (Sultan Al Assaf) kommt nur auf Besuch vorbei, dann aber mit Geschenken und viel Zuneigung sowohl für die Tochter als auch für seine Frau. Die Gründe für dieses Wohnarrangement werden erst nach und nach klar: Offenbar kann die Mutter keine weiteren Kinder bekommen, und nun machen die Schwiegereltern Druck, dass ihr Sohn sich eine weitere Frau nehmen müsse. Doch dieses Drama, unter dem die Mutter sichtlich leidet, bleibt im Hintergrund, ein bisschen so, als sei es auch zu normal, um groß herausgestellt zu werden. Aber selbst im Hintergrund schildert die Regisseurin Al Mansour noch so präzise, dass deutlich wird, wie hier die Gesellschaft den Individuen das Verhalten vorgibt und nicht etwa persönliche Männervorlieben oder simple Frauenverachtung.
Für Wadjda geht es nämlich um genau das: herauszufinden, wo es »nur« persönliche Animositäten sind, die ihr etwas verbieten wollen, und wo die Gesellschaft letztlich doch unüberwindliche Hürden aufbaut. Das Fahrrad, das Wadjda sich wünscht, ist für diese Erkundung ein ideales Gefährt: Für sich genommen ist es nichts wirklich Skandalöses, es ist mehr das Unerhörte, Noch-nicht-Dagewesene, das die ablehnenden Reaktionen um sie herum hervorruft. Das größere Tabu bricht sie im Grunde, als sie für sich beschließt, alles zu tun, um das erwünschte Gefährt zu bekommen. In einer hübschen Drehbuchvolte läuft das darauf hinaus, dass sie sich an ihrer Schule an einem Koranwettbewerb beteiligt. Zuvor wurde sie von ihren Lehrerinnen ständig ermahnt wegen ihrer unbändigen Art und ihres wenig mädchenhaften Gebarens. Nun entwickelt sie sich zur Musterschülerin mit vorbildlichem Kopftuch und noch vorbildlicherem Koranwissen.
Dabei ist es nicht die bloße Verstellung, die Wadjda es so weit bringen lässt, dass ihr das Preisgeld schließlich sicher scheint, man erkennt stets, dass es diesem Mädchen die eigene Intelligenz unmöglich macht, sich in all die Beschränkungen zu fügen, die den Frauen in ihrer Gesellschaft auferlegt werden. Um die schwierigen Koranfragen zu üben, besorgt sie sich ein Computerspiel. Wer so geschickt und zielstrebig ein Ziel verfolgen kann, dem traut man zu, sich auch mehr Spielräume zu verschaffen.
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