Kritik zu Das Lied in mir

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Im Regiedebüt von Florian Cossen spielt Jessica Schwarz eine junge Deutsche auf der Suche nach Identität. In einer weiteren Hauptrolle: die Stadt Buenos Aires mit ihrer von der argentinischen Militärdiktatur überschatteten Vergangenheit

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Eigentlich sollte Buenos Aires nur eine Zwischenstation sein, ein Ort zum Umsteigen von einem Flieger in den anderen. Die junge Sportlerin Maria Falkenmeyer (Jessica Schwarz) will eigentlich nach Santiago de Chile, zu einem Schwimmwettbewerb. Doch irgendetwas passiert mit ihr auf dem Flughafen, als sie hört, wie eine argentinische Mutter ihr Kind mit einem Lied in den Schlaf wiegt. Mit einem spanischen Lied, und Maria kann eigentlich kein Spanisch. Das ist der Moment, der ihr Leben verändern wird, eine Verwirrung, eine Erinnerung, ein Trauma. Maria verpasst ihren Anschlussflug, verliert ihren Ausweis und muss fürs Erste in Buenos Aires bleiben, einer Stadt voller Vergangenheit, eine Stadt, die Fluchtpunkt jüdischer Einwanderer war und Refugium deutscher Nazis.

Selten hat eine Stadt in einem deutschen Film der letzten Zeit eine so wichtige Rolle gespielt wie hier die lateinamerikanische Metropole. Am Anfang wirkt sie wie ein hektischer Mechanismus, laut, unübersichtlich, in dem sich Maria wie ein Fremdkörper bewegt, später, vor allem in den Nachtszenen, wird sie auch dem Zuschauer mit ihren Fixpunkten vertrauter. Für Maria wird der Aufenthalt in dieser Stadt zu einer Reise in ihre eigene unbekannte Vergangenheit. Als ihr Vater Anton (Michael Gwisdek) plötzlich in ihrem Hotel auftaucht, offenbart er ihr, dass sie 1980 von ihren deutschen Eltern adoptiert wurde. Illegal. Anton hat in der Niederlassung einer deutschen Firma gearbeitet. Marias wirkliche Eltern gehören zu den 30.000 Opfern der argentinischen Militärdiktatur; sie wurden verschleppt und ermordet. Maria macht sich auf die Suche nach ihren Verwandten.

Doch Das Lied in mir entwickelt sich nie zu einem Film vordergründiger Anklage; die Zeit der argentinischen Militärdiktatur bildet Auslöser und Hintergrund für ein universelles Tochter-Vater-Drama. Dass die Militärdiktatur eine traumatisierte Gesellschaft hinterlassen hat, verdeutlicht der Film durch die Figur des Polizisten Alejandro, der Deutsch spricht und in den sich Maria verliebt. Sie will ihn als Dolmetscher, als sie ihre Tante und deren Verwandte gefunden hat. Aber er willigt nur zögernd ein: Diese Leute mögen uns nicht, sagt er. Solche Momente heben das Debüt von Florian Cossen, der selbst ein halbes Jahr in Buenos Aires gelebt hat, über vieles heraus, was der deutsche Film sonst so zum Thema Vergangenheitsbewältigung zustande gebracht hat. Auch die Auseinandersetzung mit dem Vater ist zwar emotional, aber die Motive ihrer Adoptiveltern bringt sie nicht zutage. Marias Ziehvater wirkt kläglich in seinen Rechtfertigungen.

Aus der Suche nach Vergangenheit wird mehr und mehr eine nach dem eigenen Selbst. Das Vertrauen zu ihrem Vater ist zerbrochen, aber für Rache ist sie auch nicht zu haben. Am Ende des Films gibt es keine Lösung für Marias Zerrissenheit – auch das ein schöner Moment in dieser Geschichte, die Cossen und seine Drehbuchautorin Elena von Saucken mitunter auch holprig erzählen. Aber man muss immer die Reife dieses Debüts bewundern, das ein ausgefeiltes visuelles Konzept hat und seine Darsteller zu führen weiß. Selbst Michael Gwisdek, der die manieristische Geste selten scheut, agiert hier sehr zurückgenommen.

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