Kritik zu Das Blaue vom Himmel
Film als Familienaufstellung: Hans Steinbichler erzählt in seinem neuen Werk von zwei Frauen, zwei Generationen und zwei Zeiten. Eine Tochter (Juliane Köhler) verfolgt mit ihrer Mutter (Hannelore Elsner) die Spur eines Familiengeheimnisses
Die Sprengkräfte, die in Familien wirken, sind das große Thema von Hans Steinbichler. Stetig erweitert er dabei den geografischen und zeitlichen Radius: Nachdem er in seinem ersten Film Hierankl in der bayerischen Heimat blieb, zog er in Winterreise von dort aus in die afrikanische Steppe. Auch sein neues Werk Das Blaue vom Himmel erzählt eine Familiengeschichte, die er zwischen Berlin, Wuppertal und Lettland aufspannt, zwischen den 30er und den 90er Jahren des letzten Jahrhunderts.
Das titelgebende Blaue vom Himmel sind die Lügen, die in jeder Familiengeschichte nisten und unterschwellig ihr zerstörerisches Werk verrichten. In gewisser Weise gleicht der Film dabei einer Familienaufstellung, in der sich aus den Beziehungen zwischen den einzelnen Familienmitgliedern Hinweise auf verborgene Geheimnisse ableiten lassen. Tatsächlich hat Steinbichler ein Faible für Bert Hellinger, den bayerischen Urvater dieser psychologischen Herangehensweise: So wird die Frage, warum Sofias (Juliane Köhler) Verhältnis zu ihrer Mutter zeitlebens unterkühlt und schwierig war, virulent, als sie ein Anruf aus einer psychiatrischen Klinik erreicht, die ihre aus dem Heim entlaufene und zunehmend demente Mutter Marga (Hannelore Elsner) kurzzeitig aufgenommen hat, nachdem sie von der Polizei als Ruhestörerin aufgegriffen wurde. Als sie sich auf Drängen ihres Mannes (Matthias Brandt) widerwillig darauf einlässt, sie abzuholen, setzt sie damit einen Prozess mit unabsehbaren Folgen in Gang. Während der Mutter im Zuge ihrer Alzheimererkrankung die unmittelbare Wirklichkeit zunehmend entgleitet, werden wie Treibgut Erinnerungen aus ihrer Jugend angespült, Bruchstücke eines Lebenspuzzles, das Sofia zunehmend neugierig macht. Zusammen begeben sich die beiden auf eine Reise zu ihren lettischen Wurzeln.
Wie bereits in Winterreise geht es auch in Das Blaue vom Himmel um Abschied und Tod, darum, am Ende des Lebens seinen Frieden zu machen. Dabei fungiert die Alzheimerkrankheit als erzählerischer Kunstgriff; Marga ist in ihrer Erinnerung an ihre Jugendliebe Juris genauso gefangen wie die Fliege im Bernstein, den er ihr in den 30er Jahren aus dem lettischen Sand fischte.
Die wuchtige Unmittelbarkeit der »männlichen « Winterreise ist in der Frauengeschichte Das Blaue vom Himmel einem symbolisch aufgeladenen und bisweilen gekünstelt anmutendem Erzählstil gewichen, mit wallender Streichermusik und überdeutlichen Metaphern. Eine starke Verbündete haben die gebeutelten Heldinnen in der Kamerafrau Bella Halben, mit der Steinbichler schon mehrmals gearbeitet hat. Doch Hannelore Elsner, die sich hier noch mehr als in Hanami – Kirschblüten mit der Zerbrechlichkeit des Alters auseinandersetzt, hat es nicht leicht mit den Lebensweisheiten und Sprüchen, die ihr das Drehbuch auferlegt, während Juliane Köhler als Sofia und Karoline Herfurth als junge Marga auf berührende Weise die ganze Brüchigkeit ihrer Existenzen aufschimmern lassen, den ganzen Widerstreit von Stärke und Schwäche, von gehen lassen und zusammenreißen.
Ihre Meinung ist gefragt, Schreiben Sie uns