Kritik zu Comrade, where are you today? – Der Traum der Revolution
Die finnische Regisseurin Kirsi Marie Liimatainen sucht ehemalige Kommilitonen auf, die einst in den 80ern mit ihr Marxismus-Leninismus studiert haben
Rote Fahnen schwenkende Demonstrationen, junge Menschen mit Halstüchern, die fröhlich Lieder und Parolen über internationale Solidarität und Weltfrieden schmettern – das alles scheint endlos lange her. Für die finnische Regisseurin Kirsi Marie Liimatainen ist es ein wenig anders. Als Tochter einer Familie, in der kommunistisches Parteibuch und Engagement in der Arbeiterbewegung Tradition war, fuhr sie 1988 zum Studium in die DDR, an die Jugendhochschule »Wilhelm Pieck« in Wandlitz bei Berlin, um zusammen mit jungen Menschen aus über 80 Nationen Marxismus-Leninismus zu studieren. Über den Bildern von damals, erzählt Liimatainen aus dem Off vom schweren Abschied nach abgelaufenem Studienjahr. Sie glaubten nicht daran, dass sie sich wiedersehen würden, auch weil viele der Studenten Verfolgung in ihren Heimatländern zu fürchten hatten und nicht unter ihrem richtigen Namen eingeschrieben waren. Und dann fiel die Mauer.
Als Liimatainen sich über 20 Jahre später daran setzt, ihre Kommilitonen von damals ausfindig zu machen, sind die Pseudonyme das Haupthindernis. Wie sucht man Menschen ohne Nachnamen, die in einem Land studiert haben, das es nicht mehr gibt? Wie sie trotzdem für diese Dokumentation immerhin vier Freunde von damals ausfindig macht, deutet ihr Film nur an. Umso spannender ist das Ergebnis: Eine Bolivianerin, einen Chilenen, einen Libanesen und einen Südafrikaner besucht sie schließlich mit der Kamera. In allen vier Ländern stehen heute die Dinge ganz anders als noch 1989. Wie sehr und wie wenig sich die engagierten Marxismus-Leninismus-Studenten von damals als Teil dieser Veränderungen sehen und wie zufrieden sie mit der Gegenwart sind, darauf bekommt Liimatainen größtenteils nur indirekte Antworten. Aber in dieser Offenheit liegt der Charme dieser Dokumentation.
»Welche Farbe haben ihre Träume?« fragt Liimatainen (die nach 1989 ins wiedervereinigte Deutschland zurückkehrte und 1999 bis 2006 an der Filmhochschule in Babelsberg studierte) etwas blumig aus dem Off. Die Bolivianerin sieht heute sowohl die sozialistische als auch die kapitalistische Ideologie als »Fremdimporte«, die in Lateinamerika und speziell für dessen indigene Bevölkerung wenig Gültigkeit hätten. Immerhin verschafft sie Liimatainen tatsächlich eine kurze Audienz beim Präsidenten Evo Morales, der in sehr klaren Worten die Umkehrung der Werte bestätigt, wenn er NGOs kurzerhand zu imperialistischen Agenten und den Umweltaktivismus zum neuen Kolonialismus erklärt.
Die spannendste Sequenz in Liimatainens Film ist ihr Besuch im Libanon, wo sich die politischen Bewegungen mehr oder weniger in religiös unterteile »Sekten« aufgelöst haben. Scharf stellt einer die Frage im Bezug auf den arabischen Frühling: Wie konnte es zu diesen Revolutionen kommen, ganz ohne Linke? So stellt der Film mehr Fragen, als er beantwortet, und er lässt den Zuschauer mit dem Verlangen nach mehr zurück. Nicht das schlechteste Ergebnis für einen Dokumentarfilm.
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