Kritik zu Camilo – Der lange Weg zum Ungehorsam

© Filmwerkstatt Münster

2007
Original-Titel: 
Camilo – Der lange Weg zum Ungehorsam
Filmstart in Deutschland: 
24.04.2008
L: 
84 Min
FSK: 
12

Seit über zehn Jahren ist von Peter Lilienthal kein neuer Film mehr ins Kino gekommen. Jetzt meldet er sich mit einem Dokumentarfilm zurück, der dezidiert gegen den Irakkrieg Position bezieht

Bewertung: 4
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Peter Lilienthal dürfte bei älteren deutschen Cineasten als Regisseur sozial engagierter, seinen Außenseiterhelden zärtlich zugewandter Filme einen Ruf haben. Für »David« erhielt er 1979 einen Goldenen Bären, in den siebziger und achtziger Jahren außerdem einige Bundesfilmpreise. Spätestens seit dem Fernsehspiel »Victoria« (1973) und »Es herrscht Ruhe im Land« (1975) gab es bei dem 1929 in Berlin geborenen und 1939 mit seiner Mutter nach Uruguay emigrierten Filmemacher auch eine unübersehbare Affinität zu lateinamerikanischen Themen.

2003 weigerte sich der Staff Sergeant Camilo Mejía, von einem Heimaturlaub wieder an die Front im Irak zurückzukehren. Sechs Monate Einsatz in Ramadi hatten ihn von der verbrecherischen Natur des Krieges überzeugt. Fünf Monate tauchte Camilo ab, dann meldete er sich mit einem Fernsehinterview zurück und verweigerte offiziell den Militärdienst. Wegen Desertion wird er zu einem Jahr Militärgefängnis verurteilt. Nach seiner Entlassung schreibt der erste offizielle Irakdeserteur den autobiografischen Bericht »Road from Ramadi«. Der nicaraguanische Immigrant hatte sich 1995, lange vor Kriegsbeginn, für acht Jahre verpflichtet, um Studium und US-Staatsbürgerschaft zu erlangen.

Fernando Suarez de Solar hatte Haus und Hof in Tijuana verkauft, als sein Sohn Jesus sich mit ähnlichen Verlockungen für die Army anwerben ließ. Schon in den ersten Kriegswochen starb Jesus durch »friendly fire«. Auch Fernando ist heute mit seinem »Guerrero Azteca Peace Project« aktiv und versucht, der Propaganda der Rekrutierungsoffiziere kritische Informationen entgegenzusetzen.

Camilo und Jesus stehen für eine Rekrutierungspolitik, die ihr menschliches Kriegsmaterial ganz bewusst auch unter den mittelamerikanischen Immigranten sucht. Camilo und Fernando stehen aber auch für die Möglichkeit, der Militärmaschine die eigene Moral und selbstbestimmtes Handeln entgegenzusetzen. »Als mir die Handschellen angelegt wurden, fühlte ich mich frei«, sagt Camilo, und diese Freiheit ist das emotionale Zentrum von Lilienthals Film. Dabei ist das friedensbewegte Aufbegehren – versöhnende Irakreisen eingeschlossen – auch eine Möglichkeit, Traumata und Schuldgefühle zu verarbeiten. Doch es wird auch deutlich, dass erst Camilos familiärer Hintergrund ihm die Möglichkeit für seine souveräne Entscheidung gibt: Er ist Sohn des bekannten nicaraguanischen Sängers Carlo Mejía Godoy aus einer Familie mit sandinistischer Tradition.

Im letzten Drittel seines mit diskret begleitender Kamera und manchmal allzu illustrativ eingesetzten »Erinnerungsflashs« inszenierten Films begibt sich Lilienthal auch selbst auf die Reise nach Nicaragua zu Veteranen aus dem Anti-Somoza-Krieg. Auch wenn die Absicht einleuchtet: Hier verzettelt sich der Film etwas in der schnellen Abfolge von Schicksalen und Schauplätzen. Aber vielleicht sieht das nach einem dritten oder vierten Sehen schon anders aus. Die Substanz zu einem solch langen Filmleben hat Lilienthals vielschichtiger Film durchaus.

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