Kritik zu Buñuel: Filmemacher des Surrealismus
Javier Espada zeichnet ein klassisches Porträt des Meisters filmischer Subversion
Mit der Prozession der Trommler erreicht die Karwoche in Calanda alljährlich ihren Höhepunkt. Tausende nehmen an ihr teil. Es gibt kein Entrinnen vor dem Lärm der Paukenschläge, er dringt noch in den letzten Winkel der kleinen Bergstadt in der Provinz Teruel vor. Die Tradition soll bis ins 12. Jahrhundert zurückreichen, als Bauern die Bewohner vor heranrückenden Mauren warnten.
Mit diesem unvergleichlichen Getöse beginnt Javier Espadas Film über den berühmtesten Sohn Calandas. Es hebt noch vor dem Vorspann im Schwarzbild an, wie eine Erinnerung, die ans Tageslicht drängt. Das ist ein angemessener Auftakt, um mit Luis Buñuel vertraut zu werden. In seiner Heimatstadt, schrieb der in seinen Memoiren, endete das Mittelalter erst nach dem Ersten Weltkrieg. Und das Echo der Trommeln erklingt, konkret wie metaphorisch, in vielen seiner Filme. Damit ist das Werk dieses munteren Atheisten, das heimgesucht wird von seiner katholischen Erziehung, schon einmal dingfest gemacht. Selten hat ein Filmanfang so sehr über Wohl und Wehe des Folgenden entschieden.
Espada unternimmt etwas, das »Don Luis« selbst standfest verweigerte: Er gibt Auskunft über die Herkunft der Bilder und Töne, die der Regisseur aus seinem regen Traumleben stracks auf die Leinwand beförderte. Er spürt ihren Beweggründen und Vorbildern nach, sei es in der Ikonographie des spanischen Katholizismus oder in den surrealen Bilderfindungen seiner Zeitgenossen. Gemälde von René Magritte, aber auch von Hieronymus Bosch und Francisco de Goya treten in einen Dialog mit Filmszenen, der lebhaft, aber mitnichten buñuelesk ist: Er stellt eine Logik und Kausalität her, um die der Regisseur sein Publikum stets betrog. Seine unbändige Fantasie ist somit gründlich eingehegt.
Der Filmtitel und der Tagesjob des Dokumentaristen – er ist Leiter des Buñuel-Zentrums in Calanda – stellen allerdings bereits ein reichlich offizielles Vorhaben in Aussicht. Espada führt so umfassend in Werk und Biografie ein, dass sein Film als patentes Unterrichtsmaterial dienen könnte. Er richtet sich nicht an Eingeweihte, sondern erschließt den Kosmos Buñuels in treuherziger Konventionalität. Anarchie und Subversion sind Gegenstand, aber werden nie zum Stilprinzip des Films. Espada stellt gleichsam alles auf Anfang, wenngleich nicht so hinterlistig, wie es die Dramaturgie von Der Würgeengel tut. Er nimmt »Don Luis« beim Wort, zitiert aus dessen Memoiren und unbekannten Gedichten. Mit buchhalterischer Akribie entfaltet er den Katalog der Motive und Obsessionen, die sich durch Buñuels Oeuvre ziehen. Darin liegt auch eine sympathische Unverdrossenheit. Espada nähert sich ihm mit demütigem Staunen. Seine Schaulust ist groß. Die elementare Verstörung kann er getrost den Filmausschnitten überlassen. Er tritt mit jener Heiterkeit hinter sie zurück, die zumal Buñuels Spätwerk prägt.
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