Kritik zu Bis dann, mein Sohn

© Piffl Medien

2019
Original-Titel: 
Di jiu tian chang
Filmstart in Deutschland: 
14.11.2019
L: 
185 Min
FSK: 
6

So wie sie waren: Wang Xiaoshuai bringt drei Jahrzehnte chinesischer Geschichte auf den Nenner ­ einer Freundschaftsgeschichte zwischen jungen Familien, die bald die Trauer trennt und deren Schicksal von der Ein-Kind-Politik unwiderruflich geprägt wurde

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Das Private ist politisch. Das ist einer jener sattsam bekannten Allgemeinplätze, über deren tiefgreifende Bedeutung mittlerweile kaum einer mehr nachdenkt. Das Private ist politisch, weil das Politische sich auf das Private auswirkt, nicht nur systemisch als jeweils herrschende Ideologie, sie sei kommunistisch oder kapitalistisch, sondern auch konkret in Form bestimmter Regelungen. Einer Regelung wie beispielsweise der Ein-Kind-Politik, die im kommunistischen, post-kulturrevolutionären China seit Beginn der 1980er Jahre (und noch bis 2015) Staatsdoktrin war. Mit ihr sollte das rasante Wachstum der Bevölkerung des Riesenreiches begrenzt werden, um Wohlstand für alle sicherzustellen. Dass diese Regelung, die Strafen und Zwangsabtreibungen zu ihrer Durchsetzung vorsah, dramatische (und letztlich auch noch gar nicht absehbare) Folgen für eine Gesellschaft haben würde, der die Familie als höchster Wert und Kinderreichtum als ein Zeichen von Wohlstand galt (und gilt), lässt sich unschwer vorstellen.

Wie verheerend nun wiederum sich der Verlust eines solchen kostbaren Einzelkindes auswirken kann, davon erzählt Wang Xiaoshuai in »Bis dann, mein Sohn«. Und er nimmt die gleich zu Beginn gerissene Leerstelle, die der bei einem Badeunfall zu Tode gekommene 12-jährige Xingxing hinterlässt, als Gravitationspunkt eines Geflechtes aus Familien- und Freundschaftsbeziehungen, das durch das tragische Ereignis aus dem Gleichgewicht gerät. Denn nicht nur Liu Yaojun und Wang Liyun, die Eltern Xingxings, sind mit dem namenlosen Schmerz des unwiederbringlich Verlorenen konfrontiert, auch das befreundete Elternpaar Li Haiyan und Shen Yingming, dessen Sohn Haohao, Xingxings bester Freund, in den Unfall verwickelt war, sieht sich hilflos schweren Schuldgefühlen gegenüber.

Satte 185 Minuten, nicht eine von diesen überflüssig oder auch nur zäh, nimmt Wang sich nun Zeit, um seismografisch die Erschütterungen aufzuzeichnen, die das Unglück nach sich zieht. Wobei er nicht chronologisch vorgeht, sondern sich mit eleganter Selbstverständlichkeit auf einer drei Dekaden umfassenden Zeitachse vor und zurück bewegt – die bald auch eine räumliche Differenz einschließt, verlässt doch das trauernde Elternpaar schließlich die Industriestadt im Norden, in der alle gemeinsam in einer Fabrik am Aufbau des Landes gearbeitet hatten, in Richtung eines Hafenstädtchens im Süden, wo es einen kleinen Bootsreparaturbetrieb übernimmt.

Und während dort die Zeit nahezu stehenzubleiben scheint, boomt im Norden die Ökonomie; emblematisch sichtbar gemacht gegen Ende, als Liu Yaojun und Wang Liyun in die alte Heimat zurückkehren für ein fulminantes Finale, das das Kunststück fertig bringt, zugleich die Contenance zu wahren und zutiefst emotional zu sein. Im Taxi geht es da durch die Stadt, vom modernen Flughafen zum heruntergekommenen, ehemaligen Arbeiterwohnheim, vorüber an einer riesigen Mao-Statue, die von der hinter ihr errichteten gigantischen »Victory«-Shoppingmall verzwergt wird.

Diese Art der szenischen Verdichtung ist repräsentativ für Wangs Inszenierungsweise, deren oberstes Gebot die Unaufdringlichkeit ist. Er folgt damit auch der charakterlichen Disposition seiner beiden Hauptfiguren, eines bescheiden und geduldig sein Schicksal gemeinsam tragenden – und nicht nur er-tragenden – Paares einfacher Menschen von großer Herzensbildung. Wang Jingchun und Yong Mei, die den beiden Gestalt geben und Seele verleihen, wurden bei der diesjährigen Berlinale für ihre beeindruckende schauspielerische Leistung mit den Silbernen Bären Bester Darsteller respektive Beste Darstellerin ausgezeichnet. Es sind hochverdiente Preise für ein Werk, das meisterlich vom Menschlichen zu erzählen weiß: von einer langwierigen, aber kollektiv unternommenen Trauerarbeit und eben auch davon, welche Wunden das Politische dem Privaten schlägt, kontinuierlich und unabhängig von Ideologie.

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