Kritik zu A Beautiful Day
Lynne Ramsays kunstvolle Genre-Etüde zeigt Joaquin Phoenix als Profikiller, der ein Mädchen aus den Händen von Pädophilen befreien soll
Man könnte Lynne Ramsays neuen Film »A Beautiful Day« als eine Art Gegenentwurf zu ihrem letzten Werk »We Need to Talk About Kevin« aus dem Jahr 2011 lesen. Ging es darin um eine bürgerliche Familienidylle, in die das nicht erklärbare »Böse« wortwörtlich hineingeboren wird, steht im Mittelpunkt von »A Beautiful Day« ein Mann, der in einer desolaten Familie von Kindesbeinen an erst zu dem gemacht wurde, was er heute ist: ein zutiefst traumatisierter, gewalttätiger Soziopath. Joaquin Phoenix spielt diesen Mann mit dem Allerweltsnamen Joe als somnambul durchs Leben wandelnden Eigenbrötler. Die traumatischen Erinnerungen an seine Kindheit und seinen Militärdienst verdrängt er mit Tabletten. Seinen Lebensunterhalt verdient er als Killer. Bei seinem neuesten Auftrag befreit er die Tochter eines Politikers aus den Fängen eines Pädophilen-Rings. Allerdings lässt die Rache der einflussreichen Hintermänner nicht lange auf sich warten.
Kombiniert man diese Storyline mit der Regisseurin Lynne Ramsay und dem Hauptdarsteller Joaquin Phoenix, erwartet man eine Art »96 Hours« fürs Arthouse-Publikum. Tatsächlich lief »A Beautiful Day« vergangenes Jahr im Wettbewerb von Cannes und gewann die Palmen für Drehbuch und Hauptdarsteller. Verdientermaßen, denn Ramsay und Phoenix treiben ein außergewöhnliches Spiel mit Genrekonventionen. Wohlgemerkt sind sie dabei trotz Anspielungen auf Klassiker wie »Leon, der Profi« und »Point Blank« weit weg von postmodernistischen Zitatmanierismen. Der Ansatz ist intelligenter und hintergründiger. Ramsay baut Erwartungen auf, um diese gezielt zu unterlaufen, etwa wenn sich größere Actionszenen ankündigen, die dann aber so nicht stattfinden – wenn überhaupt. Sie baut dramaturgische Irritationen ein und verweigert die genreüblichen, meist durch Gewalt erzielten Befriedigungen. Mord und Totschlag finden fast ausschließlich außerhalb des Kamerablicks statt; oder sie sind bereits passiert, wenn Ramsays exzellenter Cutter Joe Bini an den Ort des Geschehens schneidet. Allein Jonny Greenwoods Score, so gut er an vielen Stellen passt, behauptet manchmal eine dröhnende Dramatik, die der Film gar nicht bieten will.
Zu dieser Antihaltung passt auch, dass Joaquin Phoenix mit seinem langen, zerzausten Vollbart und dem manischen Blick zwar wie ein Cousin von Mel Gibson aussieht, aber nichts von dessen Virilität und Furor hat. Er ist kein »Mad Max«, sondern ein vernarbtes Wrack, was in Ramsays fragmentarischer Erzählweise eine kluge Entsprechung findet. Immer wieder gibt es rätselhafte Flashbacks, die erst nach und nach Sinn ergeben. Die Ellipsenhaftigkeit der ungemein präzisen Inszenierung wie auch die Cadrage der Bilder werden Teil des Charakterporträts. Ramsay verschiebt den Fokus auf ungewohnte Weise hin zur reinen Beobachtung der Hauptfigur. Die Seelenqualen, die Todessehnsucht, die zärtliche Pflege der senilen Mutter nehmen auffallend viel Raum ein. Üblicherweise wären das klischeehafte, den Machismo grundierende Details. Hier werden sie zu Puzzleteilen eines verstörten Charakters.
Joes Waffe der Wahl ist ein Hammer, was beim Töten eine extreme physische Nähe und massive Krafteinwirkung erfordert. Logisch ist das nicht (wie so manches in der Geschichte), aber es passt zur archaischen Gleichgültigkeit des Charakters. Mit jedem Hieb scheint Joe eine genretypische Katharsis herbeiprügeln zu wollen, die aber nie kommt. So wirkt »A Beautiful Day« am Ende wie das Vexierbild eines klassischen Genrefilms: Was üblicherweise die Konturen bildet, sticht hier plötzlich ins Zentrum der Wahrnehmung. Konventionen werden bedient und zugleich unterlaufen. Ramsay nimmt das Genre auf geradezu altmodische Weise ernst und schärft unseren Blick für Mechanismen, nicht auf didaktische, sondern auf eine höchst sinnliche Weise. Und sie gibt dem Subgenre des »lonesome professional«-Films etwas zurück, was er in der Liam-Neeson-Ära verloren hatte: eine finstere Poesie.
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