Kritik zu Bastard

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Carsten Unger will in seinem Kinodebüt realistisch und ohne falsche Scham zeigen, was es braucht, um aus Kindern skrupellose Straftäter zu machen

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Drei Vorbilder gibt Carsten Unger für seinen Film an: William Goldings »Herr der Fliegen«, Stanley Kubricks Clockwork Orange und das Musikvideo zu »Schrei« von Tokio Hotel. Hallen voller entfesselter Kinder, rasend im Rausch der Begeisterung. Was, so fragte sich Unger, wenn diese Wucht außer Kontrolle gerät? Was, wenn sich die Kinder gegen die Erwachsenenwelt wenden und sich für all die Verletzungen, für die kleinen Vernachlässigungen und gebrochenen Versprechen ihrer Eltern rächen?

Bastard ist keine Antwort auf die Frage nach dem Phänomen der Massenhysterie. Er transponiert diese ungebändigte Energie ins Innere, baut auf einer fundamentalen Irritation eine gnadenlose Straftat auf, die man Kindern nicht zutraut. Der 13-jährige Leon hat seinen Klassenkameraden Nicholas entführt. Er gibt es zu, verrät aber das Versteck nicht. Stattdessen terrorisiert er die Eltern, zusammen mit einem Mädchen, das er gerade erst kennengelernt hat. Ihre Mutter ist Alkoholikerin, während man bei Leon eher von Wohlstandsverwahrlosung sprechen kann. Soweit die notwendigen Klischees. Dann erfährt Leon, dass er adoptiert wurde. Seither stellt sich die Frage der Elternschaft, die Frage von Liebe und Fürsorge für ihn auf ganz neue Weise.

Filme wie Bübchen, Kinderspiele oder Knallhart zeigten bereits auf ganz unterschiedliche Weise, dass Gewalt nicht nur eine Fantasie bleiben muss, wenn Kinder betroffen sind. Gewalt und Macht sind eben keine reinen Attribute der Erwachsenenwelt. Das sieht man einerseits in harmloser Form auf jedem  Schulhof und bei den Außenseitern, die es überall gibt, andererseits manchmal als konzentrierte Bedrohung. Leon ist so ein Außenseiter. Er hat eine Klasse übersprungen und findet sich in einer feindlichen Welt wieder. Die Eltern sind zufrieden mit seinen Leistungen und gehen zur Tagesordnung über. In der Schule ignoriert man den viel zu klugen Mitschüler.

Carsten Unger benutzt die Klischees auf sehr kluge Weise. Er muss gar nicht viel erzählen, um die Kinder zu handelnden Personen zu machen. Die Kamera blickt glasklar auf die Szene, zeigt genau, was passiert, in dem Keller bei dem Opfer, in der Küche bei dessen Familie. Es gibt keine Anspielungen in diesem Film, keinen indirekten Umgang mit dem Thema, aber viele Fragen nach dem Warum und dem Woher. Unger findet überzeugende Antworten jenseits von Küchenpsychologie und pädagogischer Plattitüde.

Auch mit den Formen des Kinos geht Carsten Unger in seinem Film sehr bewusst um. Er setzt die Schnitte nach einem strengen Rhythmus, benutzt Licht und Farben, um Zustände zu beschreiben und verzichtet auf erklärende Worte. Martina Gedeck als Polizeipsychologin wirkt auf erstaunliche Weise hilflos und eröffnet den Kindern dadurch einen Wirkungsraum, der mit Bedrohung angefüllt werden kann. Ein erstaunlicher Debütfilm.

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