Kritik zu Bad Luck Banging or Loony Porn

© Neue Visionen Filmverleih

2021
Original-Titel: 
Babardeala cu bucluc sau porno balamuc
Filmstart in Deutschland: 
08.07.2021
L: 
106 Min
FSK: 
18

Radu Judes Berlinale-Gewinner liefert das nur leicht satirisch überspitzte Bild einer Gesellschaft im Krawallmodus

Bewertung: 4
Leserbewertung
3
3 (Stimmen: 1)

Für Radu Jude ist die Leinwand so etwas wie das kinematografische Pendant zu Athenes verspiegeltem Schild. Erst durch das Abbild, so wird in »Bad Luck Banging or Loony Porn« der Medusa-Mythos aufgegriffen, wird es überhaupt möglich, die Gräuel zu sehen. Oder ist seine bitterböse Satire, für die der rumänische Regisseur bei der diesjährigen Berlinale mit dem Goldenen Bären ausgezeichnet wurde, nur ein derber Scherz, wie gegen Ende angedeutet? Ob Schalk oder Ernst: Irgendwo dazwischen findet sich die Wahrheit dieses unterhaltsam-sperrigen Machwerks, das sich als experimentelles Triptychon gegen klassische narrative Muster stellt: eine filmische Skizze der Obszönität.

»Bad Luck Banging or Loony Porn« beginnt mit einem Amateurporno: Lehrerin Emi (Katia Pascariu) und ihr Mann filmen sich beim Sex, die Handkamera wird hin und her gereicht, alles ist zu sehen, während sich das Paar mit Masken in verschiedenen Stellungen liebt, peitscht, befriedigt. Genau dieses Video ist der Ausgangspunkt für eine Gesellschaftssatire der besonderen Art, denn im Internet bekommt alles Beine, auch wenn es auf einer vermeintlich geschlossenen Erwachsenen-Community hochgeladen wird. Das Sextape geht viral, landet auf den Handys von Emis Schülern und bringt deren Eltern auf die Barrikaden.

Im ersten der drei Filmteile folgen wir Emi durch Bukarest. Während die Lehrerin eine gefühlte Ewigkeit durch die pandemiegezeichneten Straßen hetzt, überall Masken, gern auch unter der Nase, sehen wir eine Gesellschaft im Krawallmodus: Schlangenkämpfe an einer Supermarktkasse, rücksichtslose Autofahrer, von denen einer Emi als »Hure« beschimpft und ein anderer seinen Mini-Monstertruck auf einem Zebrastreifen parkt. Marius Pandurus Kamera schweift in langsamen Bewegungen ab, gleitet über die heruntergekommenen Fassaden sozialistischer Bauten und durch die Straßen, fängt Hochglanzwerbeplakate für Produkte oder das Militär und weitere menschliche Rücksichtslosigkeiten ein.

Das ist zum Schreien komisch und zum Verzweifeln, ebenso die irre montierte Tour de Force, die im zweiten Teil folgt. Unter dem Titel »Ein kurzes Wörterbuch der Anekdoten, Zeichen und Wunder« werden Archivbilder von Militärparaden, Talkshows, Nachrichtenbildern, Videoclips und Handybilder lexikonartig von A wie »Armee« bis Z wie »Zen« zusammengeschnitten: »Blondinenwitz«, »Möse«, »Prostitution« – mit beißendem Zynismus hält Jude der Gesellschaft, vor allem auch seinen Landsleuten, den Spiegel vor. Der Nationaldichter Mihai Eminescu kommt vor, ein Massaker während des Zweiten Weltkriegs, bei dem Tausende Juden und Roma durch das Militär erschossen wurden, und immer wieder die rumänisch-orthodoxe Kirche, deren veraltetes Weltbild Jude zerlegt.

Der dritte Teil schließlich zeigt ein Tribunal: Im Innenhof der Schule stellt sich Emi, die »Pornolehrerin«, den aufgebrachten Eltern, darunter ein General, eine Moralpeitschen schwingende Mutter, patriarchale Väter. Der verbale Schlagabtausch inklusive antisemitischer und homophober Äußerungen mündet in drei Finalen.

Jude betreibt cineastische Aufklärung um jeden Preis. Mit ätzendem, bösem, komischem und doch wahrhaftigem Blick filetiert er die Gegenwart: eine Gegenwart der diskursiven Schlammschlachten und kulturellen Gräben, bevölkert von durch soziale Medien angefeuerten Egoismen, Verschwörungstheorien, nationalistischem Revisionismus und Pseudomoralismus.

Auch wenn die Pandemie allgegenwärtig ist in diesem Film, der im Corona-Sommer 2020 unter Einhaltung der Hygienemaßnahmen gedreht wurde: Jude inszeniert sie nicht als Auslöser, sondern wenn überhaupt als Verstärker der gesellschaftlichen Verrohung. Was ist obszöner, der kleine Amateurporno oder das ganze Drumherum, ja: unsere Welt überhaupt? Dass die Trolle und Heuchler mit einem gewaltigen Dildo oral penetriert werden, erscheint nur konsequent.

Meinung zum Thema

Kommentare

... was manche Filmkritiker*innen an diesem Film finden. Teil 1: Etwas langatmig, da frei von Handlung (die vielen kleinen Einzelszenen ergeben nun mal keine Geschichte und tragen zur eigentlichen Handlung nix bei). Teil 2: Ich war kurz davor den Saal zu verlassen. Was sollte das? Teil 3: Gesellschaftskritik mit dem Holzhammer - wenig subtil und nicht lustig. Insgsamt gesehen: Für einen "Arthouse-Porno" waren es dann doch zu wenig explizite Sexszenen; für eine Satire gab's zu wenig zu lachen; ich verstehe wirklich nicht, wie dieser Film so gut bei der Berlinale ankommen konnte....

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