Kritik zu Baby Driver
Gib Gas, Baby: Er steht in der Tradition von Steve McQueen und Ryan O'Neal, doch Edgar Wrights begnadeter Fluchtfahrer ist bedeutend jünger und hat nicht das Benzin, sondern die Musik im Blut
Ein Film wie ein gigantisches Mixtape. Zuallererst in musikalischer Hinsicht: 35 vorwärtspeitschende, den Takt vorgebende, die Story mal verdoppelnde, mal ironisch kommentierende Songs in 112 Minuten, vom Art-Pop der Beach Boys über einschmeichelnden Soul von Carla Thomas und lässigen Dave-Brubeck-Jazz bis zum titelgebenden »Baby Driver« von Simon & Garfunkel. Nahezu pausenlos gehen die Lieder ineinander über und dominieren dabei den Rhythmus, prägen Stimmung und Stil. Ähnlich wild ist die Mixtur der Einflüsse und Referenzen: Edgar Wright, bekannt vor allem für seine furiosen Parodien »Shaun of the Dead« und »Hot Fuzz«, verneigt sich vor Peter Yates, Walter Hill und Nicolas Winding Refn und ihren Klassikern des »Car Chase«, kombiniert Analoges mit Digitalem, coole Fifties-Reminiszenzen mit tarantinoeskem Geschwafel, rasante Action mit naiver Romantik. »Baby Driver« ist eine popkulturelle Tour de Force, bei allem Eklektizismus aber trotzdem komplett frisch und originell – ein kühner Wurf, wie man ihn heutzutage im Kino nur selten erlebt. Und obendrein verdammt schnell.
Da sitzt er also in einem knallroten Subaru, der Driver, den alle nur »Baby« nennen. Er ist jung, viel zu jung für einen Veteranen des Fluchtautogeschäfts, aber es hat ja niemand behauptet, dass hier ein realistischer Film beginnt. Ansel Elgort (»Das Schicksal ist ein mieser Verräter«) spielt diesen Typen wunderbar wortkarg und minimalistisch, ein Eigenbrötler, der nichts zu beweisen braucht und manchmal aussieht wie der frühe Marlon Brando. Wie immer hat er die Kopfhörer seines iPods im Ohr, denn Baby ist ein notorischer Musiksammler mit Listen und Playern für jede Lebenslage. Während er darauf wartet, dass seine drei Komplizen aus der Bank zurückkehren, klopfen seine Finger zum stampfenden Rock der Jon Spencer Blues Explosion gegen das Steuer. Später werden wir erfahren, dass Baby in jungen Jahren einen Verkehrsunfall hatte und seitdem unter Tinnitus leidet. Die Musik rhythmisiert nicht nur seinen Alltag, sie überdeckt auch den quälenden Pfeifton.
Wie in »Blue Song«, einem Musikvideo, das Wright bereits 2003 für die Band Mint Royal drehte, bleibt die Kamera während der Überfälle grundsätzlich draußen beim Driver. Die übrige Besetzung mag wechseln, er aber ist die Konstante: ein unersetzlicher Meister seines Fachs. Seine fahrerischen Qualitäten kann er in der ersten großen Actionsequenz des Films dann gleich unter Beweis stellen, einer schwindelerregenden Hetzjagd durch die Straßen von Atlanta. Spätestens da wird klar, dass Wrights Inszenierung das Zusammenspiel von Musik und Handlung weiter treibt als sonst im Kino üblich. Er beschränkt sich nicht auf musikalische Schnitte, wie man sie aus Musikvideos und im Rhythmus der Musik montierten Filmszenen kennt. Stattdessen choreographiert er die Action wie ein Musical: Moves, Geräusche, ganze Sätze, aber auch Schüsse und Schläge folgen diesem Prinzip. Das Ergebnis ist elegant, verspielt, flüssig, eine wunderbare Künstlichkeit, die von Ferne an Walter Hills großes Actionmärchen »Straßen in Flammen« erinnert.
Wright beschränkt diese Methode aber keineswegs nur auf die Actionsequenzen. Auch ein simpler Gang zum Coffeeshop kann zur tänzerischen, minutiös durchkomponierten Endloseinstellung werden. Oder der Besuch eines Waschsalons zum verblüffenden Spiel mit Formen und Primärfarben. Fast schon rechnet man damit, dass die Figuren irgendwann anfangen loszusingen. Kein Wunder, dass der »Hollywood Reporter« meinte, »Baby Driver« sei »ein »Nur noch 60 Sekunden« für die Fans von »La La Land«.
Fraglos wird es Zuschauer geben, die Wrights durchästhetisiertem Joyride den Sieg des Stils über die Substanz vorwerfen. Das ist am Ende eine Frage der eigenen Erwartung. Immerhin aber ist Wright ein Romantiker, wo andere Koryphäen der Hyperstilisierung – Tarantino, Rodriguez, Snyder – eher zum Zynismus tendieren. Und er beherrscht durchaus die Kunst, ein lebendiges, von starken Emotionen getragenes Ensemble zu entwickeln. Das beginnt mit den beiden sehr gegensätzlichen Vaterfiguren in Babys Leben: dem eisigen Auftraggeber Doc (verlässlich oberschurkisch: Kevin Spacey) und dem tauben Stiefvater Joseph (intensiv: CJ Jones). Von dem einen muss Baby sich im Lauf der Geschichte emanzipieren, den anderen muss er in Sicherheit bringen, als Doc und die geballte Phalanx seiner Überfallkommandos sich gegen ihn wenden. Jon Hamm, Jon Bernthal und vor allem der hitzige Jamie Foxx erweisen sich dabei als sehr überzeugendes Gangstertrio.
Dass Baby irgendwann Schluss machen und nur noch den genretypischen letzten Job erledigen will (man ahnt, wie das ausgehen wird), liegt zum einen daran, dass er die brachialen Methoden seiner Kollegen infrage stellt, zum anderen liegt es, natürlich, an einer Frau. Die heißt Debora (sonnig: Lily James) und kellnert in einem Diner, das der Serie »Twin Peaks« entstammen könnte. Als sie nach längerer Anlaufphase endlich ins Gespräch kommen, dreht sich – was sonst? – alles um die Musik. Denn Debora ist fast so rock- und popaffin wie Baby, kennt »Debra« von Beck (nicht aber »Deborah« von T. Rex) und träumt denselben Traum wie der Driver: »...nach Westen zu fahren in einem Auto, das ich mir nicht leisten kann, mit einem Plan, den ich nicht habe«.
Die Liebesgeschichte hat etwas grandios Mythisches, so einfach, wie sie funktioniert, und so unbedingt, wie sie sich entwickelt. Sie steckt voller Americana mit ihrer Sehnsucht nach Aufbruch und Freiheit, und sie hat etwas betont Retrohaftes – der junge Rebell und das All American Girl. Zugleich ist sie der Motor für den Schlussakt des Films, in dem wir kräftig mit Baby und Debora mitfiebern dürfen. Wright hält noch ein paar clevere Twists parat, sorgt für ein weiteres Stakkato der Gewehrsalven und quietschenden Reifen und lässt den finsteren Jon Hamm, den der Film zuvor ein wenig aus den Augen verloren hatte, noch einmal zu großer Form auflaufen.
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