Kritik zu Aus dem Leben eines Schrottsammlers
Danis Tanovic (NO MAN’S LAND) inszeniert in seinem neuen Film eine Geschichteaus der Zeitung nach – mit den Originalbeteiligten, einer Romafamilie aus Bosnien
Zwei Männer zerlegen nach allen Regeln der Kunst, mit Hämmern und Äxten, ein Auto. Die Türen werden herausgerissen, das Dach abgetrennt, der Motor auseinander genommen. Die Einzelteile landen handlich verpacktim Laderaum eines Lieferwagens. Der Preis für die Ladung Metallschrott ist jedoch ernüchternd.»Morgen wird es hoffentlich besser«, sagt die schwangere Ehefrau hinter dem Herd am Ende des Tages. Aber ein besseres Leben als dieses ist nicht zu erwarten.
Der Regisseur Danis Tanovic stellt die ausführliche Schilderung einer Auto demontage an den Anfang und an das Ende seines fünften Films Aus dem Leben eines Schrottsammlers und findet damit ein eindrückliches Bild vom beschwerlichen Leben einer Romafamilie im heutigen Bosnien. Die physische Gewalt der Abrissarbeiten erzählt auch von der Armut, in der Nazif und Senada mit ihren Töchtern Sandra und Semsa in ihrem Romadorf leben. Tanovic bleibt bei seinen Beschreibungen nah an den Figuren, etwa wenn Nazifz um Holzholen in den Wald geht oder er Senadatags über bei ihren Tätigkeiten im Haus beobachtet. Die Bilder versuchen, Wirklichkeitsfragmente nachzustellen, und das ist in diesem Fall sogar ganz buchstäblich zu verstehen. Nazif Mujic und Senada Alimanovic wieauch ihre beiden Kinder spielen sich in Aus dem Leben eines Schrottsammlers selbst.
Tanovic hat seinen Film in ihrem Haus, in ihrem Dorf gedreht. Die Strategie der dokumentarischen Annäherung, die im aktuellen Weltkino schon zu einem Manierismus verkommen ist, wird in Tanovics Inszenierung gebrochen. Nazif und Senada stellen Szenen aus ihrem Leben nach, die sich so oder ähnlich tatsächlich zugetragen haben. Erfahren hat Tanovic von ihnen aus der Zeitung.
Die Geschichte von Nazif und Senada ging vor einigen Jahren durch die bosnische Presse, nachdem das Ehepaar die Geldsumme für eine lebensrettende Operation nicht aufbringen konnte. Senada hatte eine Fehlgeburt erlitten, und das tote Baby musste so schnell wie möglich entfernt werden. Kein Arzt ließ sich erweichen, die Operation umsonst durchzuführen. Tanovic, der 2002 mit No Man’s Land den Auslands-Oscar gewann, inszeniert diese Human-Interest-Geschichte jetzt als sprödes Dokudrama. Die Kamera folgt Nazif bei seinen verzweifelten Bittgesuchen: bei den Nachbarn, die gewissermaßen die letzte Solidargemeinschaft darstellen, beim Arzt, bei den Ämtern. Das System hinter diesem Schicksal bleibt weitgehend unsichtbar. Zu sehen sind nur Menschen, die nicht mehr als kleine Rädchen darstellen. Ihre Unmenschlichkeit, die Unfähigkeit zu einer autonomen Handlung (ein Überbleibseleiner totalitären Gesellschaft?), ist darum umso erschreckender.
Stellenweise steht Tanovics Formwille seiner Intention aber auch im Weg. Die »scriptedreality«, im Grunde eine Parodie der dokumentarischen Form, kommt seinen Figuren etwas zu nah, um eine Wirkung über die bloße Empörung hinaus zu entfalten. So beschreibt das Bekenntnis zum »Re-Enactment« als realistischem Abbildungsmodus vielmehr die Ohnmacht des Filmemachers gegenüber den gesellschaftlichen Verhältnissen.
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