Kritik zu Alter weißer Mann
Simon Verhoeven ist bekannt für warmherzige Komödien wie »Männerherzen« und »Willkommen bei den Hartmanns«, die auch große Publikumserfolge waren. Jetzt hat er sich der Woke-Kultur angenommen
Das hat man in letzter Zeit häufiger im Kino gesehen: Männer, die sich aus der Zivilisation in die wilde Natur zurückziehen, um dort noch mal richtig Mann sein zu können. Johlen und jagen, fluchen und rangeln, im Lendenschurz, mit Pfeil und Bogen oder Keule die Sau rauslassen, wie es unter Beobachtung durch die allgegenwärtige Woke-Polizei in den Städten schon längst nicht mehr möglich ist. So sieht man nun auch Jan Josef Liefers am Anfang dieses Films mit nacktem Oberkörper auf einem Pferd durch die Prärie reiten – bis er dann jäh aus den Männerträumen gerissen und zu seinen Familienpflichten gerufen wird. Als er später seiner Therapeutin, einer Person of Color, von seinen »Indianer«-Abenteuern erzählt, fängt er sich eine kritische Bemerkung ein.
Was ist erlaubt, was verpönt, was ein absolutes No-Go? Der Bewegungsspielraum verengt sich, vor allem Männer haben es schwer, sich im Zivilisationsdschungel der Neuregelungen zurechtfinden, nach Jahrhunderten der weitgehend unwidersprochenen Privilegien. Was man früher mitleidig Midlife-Crisis nannte, ist heute zum vernichtenden Kampfbegriff »Alter weißer Mann« mutiert. Und darüber hat Simon Verhoeven jetzt einen Film gemacht.
Heinz Hellmich (Jan Josef Liefers) soll befördert werden, vom mittleren Management in die Führungsetage eines Telekommunikationsunternehmens, dessen Name Fernfunk AG kaum weniger sexy sein könnte. In der Firma hat man einen gewissen Modernisierungsdruck erkannt, weshalb Heinz unter Beweis stellen muss, dass er kein alter weißer Mann ist. Bei der Besprechung einer neuen Werbekampagne wird da schnell aus der vierköpfigen biodeutschen Kleinfamilie eine ausufernde Multikultigemeinde, in der jede Ethnie, Kultur, Religion, Körperform und sexuelle Orientierung ihren Platz finden muss. Woker Wandel ist zunächst mal vor allem ein Schuss übers Ziel hinaus, und Heinz tritt treuherzig in jedes bereitstehende Fettnäpfchen, angefangen damit, dass er die junge Dame mit asiatischem Migrationshintergrund reflexartig als Kellnerin anspricht.
Immer wieder hat Simon Verhoeven gesellschaftliche Problemfelder im Allgemeinen und im Wandel begriffene Männerbilder im Besonderen durch ein weitläufiges Mehrgenerationengefüge gejagt. Doch anders als etwa bei »Willkommen bei den Hartmanns«, einem Film über Willkommenskultur, Vorurteile und Rassismus im Umgang mit Geflüchteten, dringt er hier ein bisschen tiefer unter die Klischeeoberflächen des allzu Offensichtlichen und wird zu einer Art Mediator zwischen den verhärteten Fronten, die er in der zweiten Hälfte zum großen Essen im Hause Hellmich versammelt. Ein schneller Reality-Check ergibt ein verheerendes Bild: An der Wand nur Bilder von alten weißen Männern wie Klee, Monet oder Toulouse-Lautrec, im DVD-Regal Hitchcock, Polanski und Woody Allen, selbst der Hai ist weiß. Und könnte die thailändische Suppe, die seine Frau kochen will, kulturelle Aneignung sein? Natürlich knallt es am Tisch dann erst mal, aber nach anfänglichen Kollisionen beginnt ein anregender Austausch, und wie immer gilt: Man muss eigentlich nur miteinander reden.
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