Kritik zu Alexander Granach – Da geht ein Mensch
Angelika Wittlich erzählt klug und bewegend das Leben des Schauspielers Alexander Granach (1890–1945), das ihn aus Galizien nach Berlin und in der Emigration über die Sowjetunion nach Hollywood und New York führte
Da geht ein Mensch«: So hieß die Autobiografie, die der Schauspieler Alexander Granach kurz vor seinem Tod 1945 im amerikanischen Exil geschrieben hat. Ein geradezu atemberaubendes, hinreißendes Buch. Granach, geboren 1890, erzählt von seiner armen, aber glücklichen Kindheit in Galizien, von seiner frühen Begeisterung für das Theater (»ein ganzes Leben in drei Stunden«), seinem Aufbruch nach Berlin, wo Max Reinhardt den Anfänger engagierte, seinen Erlebnissen als österreichischer Soldat im Ersten Weltkrieg, und schließlich von seinem ersten Shylock 1920 in München. Da endet der Band, er ist eine der beiden großen Quellen für Angelika Wittlichs Dokumentarfilm über den Schauspieler.
Die zweite Quelle sind die fast 300 Briefe, die Granach ab den dreißiger Jahren an die Schweizer Schauspielerin Lotte Lieven schrieb, seine Freundin und Geliebte, die er aber nicht geheiratet hat. Samuel Finzi liest Passagen aus dem Buch und den Briefen, Lievens Antworten sind nicht erhalten. Auch Juliane Köhler liest aus Granachs Briefen, und manchmal überschneiden sich die Stimmen, klingen zusammen, verbinden die beiden Liebenden. Finzi und Köhler sind vor der Kamera unaufdringlich präsent, sie halten die Balance zwischen Identifikation und Distanz.
Der Film lebt von der Montage, die sich immer wieder zu bewegenden Sequenzen verdichtet. Das alte Galizien und Galizien heute, Granachs Herkunft aus dem Ostjudentum – und der Glanz von New York und Hollywood. Granach spielte prägnante Nebenrollen, in Ninotschka an der Seite von Greta Garbo oder in Fritz Langs Hangmen Also Die, die Wittlich als Zitate zeigt. Granach war ein politisch wacher Schauspieler, zuerst im Expressionismus, dann bei Piscator oder Brecht, und bald darauf der politisch und rassisch Verfolgte: 1933 emigrierte er aus Berlin, 1937 entkam er in Kiew, wo er im selben Gefängnis saß wie heute Julia Timoschenko, der stalinistischen Verfolgung nur dank der Fürsprache Lion Feuchtwangers, der Stalin persönlich kannte.
Wittlich vergegenwärtigt die Lebensstationen Granachs mit einigen alten Filmszenen und Fotografien, vor allem aber mit neuen Aufnahmen aus dem dörflichen Galizien, aus Lemberg, Berlin, Kiew, Hollywood und New York. Sensibilisiert durch die Geschichten von einst aber »sieht« der Zuschauer hinter den aktuellen Bildern die alten Straßen und Gebäude, das Leben von damals.
Der Film ist auch ein Gespräch über Granach mit Historikern und Theaterleuten wie Thomas Langhoff oder Klaus Völker, und – besonders anrührend – dem Sohn Gad Granach, geboren 1915, gestorben 2011 in Israel. Der im Osten verbliebene Teil der Familie wurde im Holocaust umgebracht. Die Erinnerungen und Erzählungen müssen die nicht vorhandenen Ausschnitte aus Bühnenaufführungen der zwanziger Jahre ersetzen. Einig sind sich alle, dass Granach ein Vollblutschauspieler war und ein humaner Darsteller: Als Mephisto ein freundlicher Teufel, während Gründgens in der Rolle eher wie ein Mann der Gestapo wirkte. Werner Krauß spielte Shylock als Hassobjekt für Antisemiten, Granach aber zeigte in seiner Lebensrolle die Tragödie des verfolgten Judentums.
Ihre Meinung ist gefragt, Schreiben Sie uns