Kritik zu 28 Days Later
Ein waschechter Zombie-Film von Danny Boyle
Genau genommen sind es keine Zombies, die im neuen Film von Danny Boyle (»Kleine Morde unter Freunden«, »Trainspotting«), England entvölkern, sondern Seuchenopfer. Aber der Regisseur knüpft mit »28 Days Later« eindeutig an die ruppigeren Klassiker des Horrorkinos an.
Um dem Horror im postklassischen Hollywood-Kino der neunziger Jahre eine neue Existenzgrundlage zu verschaffen, hatte es eines ordentlichen Quantums Ironie bedurft. Bitte bringen sie mich nicht um, ich möchte in der Fortsetzung dabei sein: Seit dem Erfolg von Wes Cravens »Scream« 1996 entwickelten sich Selbstreflexivität und etwas -persiflage zusehends zum Motor der einzelnen Filmerzählungen und schließlich des gesamten Genres. Sich der eigenen Kinovergangenheit bewusst zu zeigen und dies gleich auch lauthals zu verkünden – »Ich weiß immer noch, was Du letzten Sommer getan hast!«, wurde in dieser Logik eins. Das Spiel mit den Genreregeln sicherte zudem als ironischer (Auf-)Bruch die Zielgruppenerweiterung in Richtung Comedy – zumindest so lange, bis sich der Spaßtyrann der Selbstreflexivität höchstselbst mit Filmen wie »Scary Movie 2« enthauptet hatte.
Bereits »The Blair Witch Project« zeigte 1999 einen Wechsel an, der so genannten »klugen« Horror nicht länger mit Selbstironie oder ostentativen Querverweisen kurzschließt. Das US-Remake »The Ring« und Claire Denis' Vampir-Drama »Trouble Every Day« sind zwei aktuelle Seiten dieser Entwicklung des Horrorfilms, der nun auch die Zombies wieder für sich entdeckt. Das war auch dringend nötig, nachdem sich »Resident Evil« im letzten Jahr nur jenen Fingerbreit für die Zombie-Geschichte interessiert hatte, den es halt braucht, um den Videospiel-Abzug des Ego-Shooters zu betätigen.
Danny Boyles »28 Days Later« hingegen nimmt sich beinahe liebevoll des Zombie-Motivs an, um es nach dessen eigenen Prinzipien zu transponieren. Nach einem rabiaten Prolog, in dem Tierschützer Schimpansen aus einem Labor befreien, das die mit einem neuen Virus infizierten, blutrünstigen Viecher besser nicht verlassen hätten, springen wir 28 Tage in die Zukunft. In einem ausgestorbenen Londoner Krankenhaus erwacht der Fahrradkurier Jim (Cillian Murphy) aus dem Koma. Er kommt noch einmal zur Welt, und noch bevor wir die ersten Zombies zu sehen bekommen, die als Opfer einer grassierenden Epidemie die letzten Überlebenden fressen, nein, infizieren, präsentiert »28 Days Later« seine erste visuelle Sensation.
Eingefangen mit Totalen digitaler Videokameras stolpert Jim durch die leeren Straßen Londons, lässt die verwaiste Westminster Bridge hinter sich und landet am Piccadilly Circus, der wohl niemals zuvor in der Filmgeschichte eine derartige Stille und Einsamkeit verbreitet hat. Dieser Albtraum von Realismus ist das ureigene Gelände der Zombies, auf dem sie nun Jim jagen. Schneller als in der grundlegenden Zombie-Trilogie von George A. Romero kommen sie hier voran, aber nicht ohne das symptomatisch steife Schlurfen, das Untote typischerweise von Lebenden trennt. Jim hat gegen die Übermacht keine Chance; er bekommt sie erst durch die junge Afro-Engländerin Selina (Naomie Harris), mit der Boyle die Protagonisten-Politik George A. Romeros fortsetzt. Aus dem schwarzen Kontrahenten einer weißen Zombie-Übermacht in Romeros »Night of the Living Dead« (1968) wird hier eine junge Frau, die sich unter Monstren und Männern als die versierteste Kämpferin und als doppelt bedroht erweist.
Romero bleibt ein Bezugspunkt, insofern »28 Days Later« etliche Grundelemente aus dessen Zombie-Zyklus neu strukturiert. Die Flucht eines Quartetts von Überlebenden aus einer von Untoten regierten Großstadt – hier lassen Jim und Selina zusammen mit dem Witwer Frank (Brendan Gleeson) und dessen Tochter Hannah (Megan Burns) London hinter sich – gab es auch in »Dawn of the Dead« (1980). Der Zufluchtsort der Vier – ein in einem Herrenhaus verschanzter Militär-Restposten – erinnert an das Setting in »Day of the Dead« (1985). Und wie bei Romero entspringt auch hier das größte Grauen den Relikten der westlichen, spätkapitalistischen Zivilisation und nicht allein den wilden Toten. So kommt die blutigste Szene in Danny Boyles Zombie-Film dann auch komplett ohne Zombies aus: Sie ist vielmehr die Folge des Kampfes zwischen Jim und den Militärs, die sich auch dieses Mal als das größere Übel entpuppen.
Dennoch ist es das vielleicht größte Verdienst dieses Films, dass er sich nicht allein auf eine kluge Ausbeutung der Vorbilder konzentriert. In zwei Schritten geht »28 Days Later« aus der Zombie-Filmgeschichte über sie hinaus: zum einen mit der Entscheidung für die Videoästhetik, die nicht nur mobil einer düsteren Action ohne künstliches Licht zu folgen vermag, sondern damit zugleich die Rezeption des Subgenres wachruft. Gerade weil die mit der Zensur ringenden Zombie-Filme seit den siebziger Jahren ihr Publikum größtenteils als Videokopien fanden, wird »28 Days Later« zur Fortsetzung und Reflexion gleichermaßen.
Zum anderen gelingt es hier, einen (mit US-Geldern finanzierten) englischen Zombie-Film zu entwerfen. Dafür ist das entmenschte London ebenso wichtig wie jene Momente, in denen idyllische Auen und freilaufende Pferde jenes »green and pleasant land« bebildern, als das England in William Blakes berühmtem Kirchenlied »Jerusalem« besungen wird. »And was Jerusalem builded here among these dark satanic hills?« Als Antwort wird das letzte Filmbild offen bleiben: »28 Days Later« hat einen Weg gefunden zwischen diesem (religiösen) Prinzip Hoffnung und dem harten Materialismus der Romero-Schule.
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