Kritik zu Die Schriftstellerin, ihr Film und ein glücklicher Zufall
Der koreanische Filmemacher Hong Sang-soo hat seit 1996 rund 30 Filme gedreht, sein neuer Film erzählt von einer Autorin mit Schreibblockade
So richtig einig werden sich die Schriftstellerin Junhee und der Dichter Mansoo, mit dem sie vor längerer Zeit eine intensive (Trink-)Freundschaft verbunden hat, an diesem Abend nicht. Er ist davon überzeugt, dass es eine Geschichte braucht, dass Kunst erst im Rahmen einer Erzählung wirklich zu sich findet. Eine gerade für einen Dichter überraschende Haltung. Junhee, die unter einer Schreibblockade leidet und sich von der Literatur innerlich mehr oder weniger verabschiedet hat, kann dieser Idee nichts abgewinnen. In ihren Augen sind Geschichten etwas, das es hinter sich zu lassen gilt, um zu einer tieferen Wahrheit, zu einer Echtheit zu gelangen. Deswegen will sie nun einen Kurzfilm drehen, in dem sie die junge Schauspielerin Kilsoo einfach nur dabei beobachtet, wie sie Menschen trifft, die sie gut kennt. In diesen Begegnungen soll sich eine Realität offenbaren, die im geschäftigen Hin und Her des Alltags meist verborgen bleibt.
Junhees Idee von Kunst deckt sich in beträchtlichen Teilen mit der ihres Schöpfers, des südkoreanischen Filmemachers Hong Sang-soo. Sein Kino ist eines, das den Zufall und die Ziellosigkeit als Ausdrücke des menschlichen Seins feiert. So begleitet er in »Die Schriftstellerin, ihr Film und ein glücklicher Zufall« die von Lee Hye-yeong gespielte Autorin Junhee, wie sie sich von einer mehr oder weniger zufälligen Begegnung zur nächsten treiben lässt.
Junhee ist in die Peripherie von Seoul gefahren, um ihre alte Freundin Sewon zu besuchen, die auch geschrieben hat und nun eine kleine Buchhandlung führt. Hier trifft sie auf deren junge Assistentin Hyunwoo, die gerade dabei ist, Gebärdensprache zu studieren. Fasziniert bittet Junhee darum, dass sie ihr ein paar poetische Sätze in Gebärden übersetzt. Was zunächst wie ein Spiel wirkt, entwickelt eine ganz eigene Poesie. Als die Schriftstellerin die Gebärden nachahmt, findet sie in dieser ihr fremden Sprache für einen Moment so etwas wie eine neue Heimat.
Auch wenn es nie ausgesprochen oder auch nur angedeutet wird, liegt die Vermutung nahe, dass es diese in der Gebärdensprache wiedergefundene Kraft ist, die Junhee später bei weiteren zufälligen Begegnungen erprobt. Den Filmregisseur Hyojin, der vor langer Zeit einen ihrer Romane verfilmen wollte, dann aber vor seinen Geldgebern eingeknickt ist, konfrontiert sie sehr offen mit seinen männlichen Privilegien. Die von Kim Min-hee gespielte Schauspielerin Kilsoo feiert sie im gleichen Zug für ihre mutige Entscheidung, sich einer von eben diesen männlichen Privilegien geprägten Filmwelt zu entziehen.
Die tiefenscharfen, von starken Kontrasten bestimmten Schwarz-Weiß-Bilder von »Die Schriftstellerin, ihr Film und ein glücklicher Zufall« entwickeln einen Sog, der einen in jede Szene und in jedes Gespräch hineinzieht, bis – so wie es sich Junhee vorstellt – eine tiefere Wahrheit kenntlich wird. Gerade in den Augenblicken, in denen die Gespräche ins Stocken geraten und Junhee oder die anderen durch ihr peinlich-berührtes Zögern offenbaren, welche emotionalen Verletzungen selbst alltäglichste Gespräche hinterlassen können, gleichen Spiegeln, in denen man sich selbst erkennt. Man wird mit den eigenen Selbstzweifeln und Ängsten, vergessenen Hoffnungen und verdrängten Wahrheiten konfrontiert und kann sich so von ihnen befreien.
Kommentare
Wie ein Sog.
Die Filme Hong Sang-soos entfalten einen merkwürdigen Sog. Eine Geschichte im üblichen Sinne darf man nicht erwarten, es sind eher Begegnungen und Gespräche, die er aneinanderreiht. Und doch ergibt sich an Ende ein Bild, das man mit sich aus dem Kino trägt. Die Bilder, die Dialoge bleiben im Kopf. Im Grunde sind seine Filme kluge Portraits der koreanischen Gesellschaft. Männer kommen nie gut weg und Frauen sind einsam und auf sich selbst gestellt. Wenn sie ihren Weg gehen wollen, müssen sie sich von den gängigen Rollenerwartungen verabschieden.
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