Kritik zu Vor mir der Süden
Auf den Spuren von Pier Paolo Pasolini vollzieht Dokfilmer Pepe Danquart eine Reise durch Italien nach, die im Hin und Her zwischen Vergangenheit und Gegenwart vor allem auch das Thema Migration beleuchtet
Eine Kamerafahrt entlang gestaffelter Reihen gut besetzter Liegestühle. Dazu eine persönlich gehaltene Erzählung aus dem Off über die Entwicklung des Tourismus in Jesolo. Wer da spricht, ist erst mal unklar. Dann erläutern einheimische Tourismusprofis die Vorzüge des Ortes, dessen künstlich angereicherten Sandstrand einer auch heute noch eine »Goldmine« nennt. Vorher folgt die Kamera einem jungen dunkelhäutigen Mann, der mit dem Verkauf bunter Tücher auch ein wenig an dieser Goldmine teilhaben will.
Dies ist die Exposition eines Films, der seine Reise dann auf der anderen Seite des italienischen Stiefels am Ligurischen Meer beginnt. 1959 war der Exlehrer und aufstrebende Schriftsteller Pier Paolo Pasolini von Ventimiglia entlang der Küste über Sizilien bis Triest gereist – nach einem Insert im Film angeblich, »um die gesellschaftlichen Veränderungen zu dokumentieren«, laut Pasolini-Biograf Nico Naldini jedoch im Auftrag eines Lifestylemagazins. Jetzt hat der deutsche Filmemacher Pepe Danquart die Reise noch einmal unternommen und dabei – ein wenig Autofetischismus muss bei einem Mann wohl sein – mit einem knuffigen Fiat Millecento auch das gleiche Verkehrsmittel wie Pasolini damals gewählt. Statt nur des Notizbuchs (aus dem auch Pasolinis von Ulrich Tukur eingesprochene Kommentare stammt) hat Danquart aber ein kleines Filmteam dabei.
So treffen die verbalen Beschreibungen eines vergangenen Italien auf die Bilder und Stimmen der Gegenwart, wobei Danquart der Versuchung widersteht, Orte mit allzu plakativen Veränderungen zu suchen. Stattdessen hat er neben digital scharf gestochenen Straßenpanoramen oder imposanten Totalen immer wieder kurze Szenen mit Super-8-Optik einmontiert. Dazu sparsam eingesetzte melancholische Musik.
Zu Anfang der Reise lässt der Film Pasolini selbst sprechen – von seiner Liebe zum italienischen Volk, das er ebenso als Teil Europas wie der Dritten Welt sehe. Es ist die Leitlinie für die Begegnungen, die Danquart auf seiner Reise inszeniert: mit einer Barbesitzerin, die Flüchtlingen hilft, Fischern, die die Überfischung des Mittelmeeres beklagen, einem Hafenarbeiter, der selbst Pasolini-Aficionado ist. Im von faschistischer Architektur geprägten Stadtzentrum von Sabaudia lässt er sich Pasolinis Diagnose des Konsumismus erklären. Ein alter Herr, der Pasolini als Kind kannte, rezitiert aus dem Gedächtnis ein langes visionäres Gedicht, in dem Flüchtlingsboote über das Mittelmeer von Afrika nach Norden ziehen.
Das Thema der Migration (und der Warenströme) wird zum roten Faden und in verschiedenen Facetten beleuchteten Fokus der Filmerzählung. Als Hintergrund sichtbar werden ökonomische Verzerrungen und politisches Versagen, als Spiegelbild die (es war vor Corona) ähnlich anwachsenden Tourismusströme. Dabei kommen die afrikanischen Migranten in den letzten beiden Dritteln des Films vielfach auch mit eigenen Stimmen zu Wort, die Touristen und Touristinnen auf Capri oder in Venedig bleiben stumme Kulisse.
Kommentare
Vor mir der Süden
Habe nach 60 Minuten Elend Hässlichkeit und Frustation das Kino verlassen…
Ich hoffe es gab noch irgend eine Botschaft an die armen Cineasten.
Vor mir der Süden
Lange keinen so guten Dokumentarfilm gesehen. Hat mich tief berührt.
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