Cannes: Zurück zum Vorher
Der Krieg in der Ukraine wirft lange Schatten, die bis ins Festivalprogramm an der Côte d'Azur reichen: »Z«, das war ursprünglich der Titel des französischen Films, mit dem die diesjährige Ausgabe der internationalen Filmfestspiele von Cannes eröffnet werden sollten. Das »Z« steht für »Zombie«, denn beim neuen Film des oscarprämierten Regisseurs Michel Hazanavicius (»The Artist«) handelt es sich um eine Komödie, in der Dreharbeiten zu einem Horrorfilm vom Einfall echter Zombies gestört werden. Inzwischen aber hat die russische Seite den Buchstaben »Z« zum Wahrzeichen ihres Angriffskriegs erklärt. Um Zweideutigkeiten zu vermeiden, benannte Hazanavicius seinen Film um. Dienstagabend also wird die 75. Ausgabe von Cannes mit der Zombiekomödie »Coupez!« eröffnet. Ein unbeschwertes Festival, das bis zum 28. Mai dauert, wird es dennoch kaum werden.
Dafür werden nicht nur die mit dem Krieg verbundenen nationalen Spannungen sorgen. In der Frage eines möglichen Boykotts hat sich Cannes bereits früh positioniert: Man werde keine russischen Delegationen einladen, hieß es Ende Februar. Für die Filmauswahl aber verbot sich Festivaldirektor Thierry Frémaux allgemeine Leitlinien politischer Natur wie »keine Filme, die vom russischen Staat gefördert wurden«. Er entscheide von Fall zu Fall – und so stehen im Programm russische neben ukrainischen Beiträgen.
Wobei es zu diesem Nebeneinander auch schon Beschwerden gab. Im Wettbewerb nämlich läuft »Tschaikovsky's Wife« des russischen Regisseurs Kirill Serebrennikov, der erstens seit März im Ausland lebt und zweitens die Premieren seiner vorherigen in Cannes präsentierten Filme, »Leto« (2018) und »Petrov's Flu« (2021) nicht besuchen konnte, weil er in Moskau unter Hausarrest stand. Der ukrainische Beitrag »Butterfly Vision« von Maksim Nakonechnyi, ein Debütfilm, dagegen läuft in der Nebensektion »Un certain regard«.
Und als Special Screening wurde erst vor kurzem noch »Mariupol 2« ins Programm genommen, ein Film des litauischen Dokumentarfilmers Mantas Kvedaravicius, der Anfang April in Mariupol von russischen Streitkräften ermordet wurde. Seine Verlobte Hanna Bilobrova konnte sein bis dahin gedrehtes Material retten und Kvedaravicius' Cutter Dounia Sichov übergeben. Mangelnde Aktualität kann man dem diesjährigen Festivalprogramm also keineswegs vorwerfen.
Ansonsten aber wird dieses Festival ganz im Zeichen eines »Zurück zum Vorher« stehen. Als das erste große Event seiner Art, das ohne verbindliche Pandemie-Maßnahmen stattfindet – es gibt keine Testverpflichtungen, um das Tragen von Masken in den Kinos wird gebeten –, erhofft sich die Filmindustrie, dass Cannes auch wieder die Begeisterung fürs Kino als solches weckt, dass die Bilder vom roten Teppich, von vollen Sälen und stehenden Ovationen gleichsam zum Kinobesuch überall in der Welt anregen.
In Konkurrenz um die begehrte Goldene Palme tritt einmal mehr Thierry Frémauxs bewährte Mischung aus Stammgästen an: Da gibt es die, die schon einmal – mindestens – eine Goldene Palme gewonnen haben, wie etwa die belgischen Brüder Jean und Luc Dardenne, der Japaner Hirokazu Koreeda, der Schwede Ruben Östlund oder der Rumäne Christian Mungiu. Hinzu kommen ein paar große Altmeister wie der 84-jährige Pole Jerzy Skolimowski (»EO«) oder der 79-jährige Kanadier David Cronenberg, dessen »Crimes of the Future« zu den meist erwarteten Filmen gehört. Dann gibt es die »Wiederkehrer« wie der Amerikaner James Gray, der mit »Armageddon Time«, einem Drama über die Reagan-Ära mit Anthony Hopkins und Anne Hathaway, zum 5. Mal einen Film in Cannes präsentiert, oder der Franzose Arnaud Desplechin, der mit »Brother and Sister« bereits zum 7. Mal dabei ist.
Erneut erweist sich die Auswahl mit weiteren prominenten Namen wie Park Chan-wook, Mario Martone, Albert Serra oder Lukas Dhont als männlich dominiert. Nur vier der Wettbewerbsbeiträge wurden von Frauen gemacht, wobei es auch hier vorwiegend bekannte Namen sind: Claire Denis, Valeria Bruni-Tedeschi und Léonor Serraille aus Frankreich, Kelly Reichardt aus den USA. Mit der belgischen Schauspielerin Charlotte Vandermeersch an der Seite von Felix van Groeningen kommt eine Ko-Regie dazu.
Weil das reine Arthouse-Kino nicht genügend Glamour besitzt, wird die in diesem Jahr sehr europa-lastige Auswahl wie immer von ein paar Premieren flankiert: Tom Cruise stellt gleich in den ersten Tagen »Top Gun: Maverick« vor, George Miller, dessen »Mad Max: Fury Road« 2015 begeistert gefeiert wurde, kehrt mit der fantastischen Romanze »Three Thousand Years Of Longing«, in der Tilda Swinton und Idris Elba spielen, zurück, und der Australier Baz Luhrmann präsentiert mit »Elvis« ein sicher so buntes, wie musikalisches Biopic, das aus der Sicht von Elvis-Manager »Colonel« Parker, gespielt von Tom Hanks, auf die Karriere des »King« zurückblickt. Wie auch immer die Filme im Einzelnen ankommen: in den nächsten zwei Wochen wird einmal wieder das Kino, nicht das Streaming, im Zentrum stehen.
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