Cannes: Schadenfreude regiert
Die Reichen und Schönen sind ein leichtes Ziel für die Satire. Nichts scheint einfacher, als die Gäste einer Luxus-Yacht der Lächerlichkeit preiszugeben. Es braucht nur einen tüchtigen Sturm, und die, die eben noch beim »Captain's Dinner« stolz ihre Austern schlürften, können nichts mehr vom gegessenen Reichtum bei sich behalten, geschweige denn eine gute Figur machen, wenn nicht nur der Inhalt ihrer Mägen, sondern auch die Füllung der Schiffstoiletten wieder nach oben drängt. Die Seekrankheit ist ein großer Gleichmacher.
Der schwedische Regisseur Ruben Östlund – mit seiner Satire über den Kunstbetrieb, »The Square«, gewann er 2017 in Cannes die Goldene Palme – lässt das Kernstück seines neuen Films »Triangle of Sadness« auf einer Luxusyacht spielen. Dort versammelt er ein modernes »Upstairs-Downstairs« des digitalen Zeitalters: oben auf dem Sonnendeck gibt es das junge Influencer-Pärchen, den russischen Oligarchen, die britischen Waffenhändler und einen skandinavischen Software-Programmierer, die allesamt ihren Reichtum in Status umgesetzt sehen wollen. Unter Deck findet sich das Assortiment der Unterprivilegierten aus dem Nahen und Fernen Osten.
Mit Focus auf dem jungen Paar, das mit dem ständigen Fotografieren seiner selbst sein Geld verdient, lotet Östlund einmal mehr das Unwohlsein im Wohlstand aus. In seinen tableauartigen Szenen, die manchmal überraschende Schlaglichter auf die Tauschverhältnisse zwischen Macht und Geld werfen, manchmal aber auch purer Slapstick sind, hält er sein Publikum mit viel Schadenfreude bei der Stange.
Weniger subversiv als noch »The Square« gibt es auch in »Triangle of Sadness« wieder Szenen, die sich wie Sketche dem Gedächtnis einbrennen, etwa wenn der Oligarch, der sich als »russischen Kapitalisten« bezeichnet, und der von Woody Harrelson gespielte Schiffskapitän, seines Zeichen ein »amerikanischer Kommunist«, sich Zitate von linken und rechten Denkern um die Ohren hauen, die sie betrunken auf ihren Smartphones gegoogelt haben.
Auch wenn er nicht unmittelbar zum Palmenfavoriten aufstieg, kam das Festival in Cannes mit Östlund doch auf wohltuende Weise in der Gegenwart an. Denn so ergreifend etwa der amerikanische Regisseur James Gray in seinem »Armageddon Time« auf die eigene Kindheit im New York der frühen 1980er Jahre zurückblickt, so sehr belegte er damit zugleich die Beschränktheit eines solchen Erinnerns.
Auch Grays Film handelt von Privilegien: Ein elfjähriger Junge aus jüdischer Familie erfährt am eigenen Leib, wie ihm als präpubertierenden »Problemkind« Tausende von Hilfsangebote gemacht werden, während sein schwarzer Schulfreund sofort als Krimineller abgestempelt wird – und dass er als weißer Junge nichts dagegen tun kann. Grays autobiografisch gefärbter Film beeindruckt, weil er entschieden unsentimental daherkommt und nichts verklären will. Und trotzdem scheint diese Art Bloßstellung des Rassismus von früher, ähnlich wie die Schadenfreude über das Unglück der Reichen von heute, eben immer auch ein bisschen billig.
Wie man die unmittelbare Gegenwart aufs Korn nimmt, ohne in Klischees zu verfallen, führte dagegen der Rumäne Christian Mungiu mit seinem neuen Film »R.M.N.« (der Titel bezieht sich gleichermaßen auf eine Kernspintomographie wie auch auf das Land Rumänien) vor. Mungiu gewann als Newcomer 2007 mit dem Abtreibungsdrama »4 Monate, 3 Wochen und 2 Tage« die Goldene Palme, und liefert mit »R.M.N.« einen Scan der rumänischen Gesellschaft, der regelrecht alarmiert.
Anhand der Konflikte in einer transilvanischen Kleinstadt fächert Mungiu das Spektrum der brennenden Probleme des heutigen Europas zwischen West und Ost auf. Gleich an der Oberfläche sind da die üblichen Reibungen der Koexistenz: Dass die hier eingesessenen Rumänen, Ungarn und Deutschen miteinander streiten, ist Normalität. Der aggressive Stolz, mit dem sich manche damit brüsten, die »Zigeuner« endlich losgeworden zu sein, klingt schon weniger gemütlich.
Gestört wird der prekäre Kleinstadtfriede dann endgültig, als die örtliche Brotfabrik Arbeiter aus Sri Lanka anheuert. Mungiu inszeniert eine Gemeindeversammlung, die zugleich ein filmisches und ein intellektuelles Bravourstück ist. Hier kommen all die Ressentiments zur Sprache, die sich 30 Jahre nach dem Mauerfall zwischen Ost und West so etabliert haben.
Hinter der Ablehnung von Ausländern verbergen sich Vorurteile gegen Umweltschutzauflagen und andere »Diktate« der EU. »Bald dürfen wir nicht mehr 'Mama' und 'Papa' sagen!«, klagt eine Bürgerin. Sie alle wissen um das Lohngefälle, das dafür sorgt, dass die einheimischen Arbeiter gen Westen ziehen, um dort besser zu verdienen. Dass es den Menschen in Sri Lanka ebenso ergeht, weshalb sie für einen Mindestlohn nach Rumänien kommen, will man nicht verstehen – auch weil es das Gefühl der Ohnmacht nur verstärkt.
Mungiu denunziert seine Figuren nicht, egal, was sie denken oder tun, und zeigt doch das falsche Denken und die falschen Privilegien ganz ohne Schadenfreude. Was ihn erneut zum Favoriten für eine Palme macht.
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