Cannes 2016: Woody Allens »Café Society«
Mit 69 drängt sich die Frage, ob man noch etwas bedeutet in der Welt, wie selbstverständlich auf, umso mehr wenn es sich um ein Filmfestival handelt. Dass Cannes in diesem Jahr ausgerechnet Woody Allens »Café Society« zum Eröffnungsfilm wählte, wirkt in diesem Zusammenhang wie ein Zeichen. So unterschiedlich die Filme des mittlerweile 80-Jährigen in den letzten Jahren aufgenommen wurden, so stetig bleibt Woody Allen dabei, jedes Jahr einen Film zu liefern. Und dabei gelingt es ihm auch noch, eine gewisse Unberechenbarkeit zu erhalten. »Midnight in Paris«, mit dem Allen schon 2011 das Festival in Cannes eröffnete, sollte zum größten kommerziellen Erfolg seiner Karriere werden; »Irrational Man«, den er im vergangenen Jahr hier vorstellte, wurde von der Kritik verrissen und ein Flop an der Kinokasse.
Mit »Café Society« nun gelingt Woody Allen ein weiteres Mal eine überraschende Wendung: Er versorgt ein Festival, das wegen vieler schlechter Weltnachrichten und der anhaltenden Terrorgefahr in diesem Jahr unter besonderer Anspannung steht, mit einer dringend benötigten Dosis an Gelassenheit und Leichtigkeit. In »Café Society« wirft Allen einen nostalgischen Blick zurück auf die zwei amerikanischen »Kulturhauptstädte« der 30er Jahre, auf New York und Hollywood. Jesse Eisenberg (»Social Network«) spielt den jüngsten Sproß einer jüdischen Familie, der sein heimisches New York aufgeben will, um es unter den Fittichen seines in Los Angeles lebenden Onkels (Steve Carrell), einem erfolgreichen Hollywood-Agenten zu etwas zu bringen. Statt Karriere zu machen verliebt er sich in die von Kristen Stewart gespielte Sekretärin des Onkels, nicht wissend, dass die beiden eine heimliche Affäre miteinander haben.
Woody Allen-Fans werden in »Café Society« viele vertraute Allen-Momente wiederfinden: da gibt es die ironische Wendung von so manchem Schicksal, die Frage nach Verbrechen und Strafe und natürlich die unergründlichen Irrungen und Wirrungen der Herzen. Begleitet vom Allen'schen Humor, etwa wenn er als Off-Erzähler an einer Stelle die Lebensweisheit zitiert, man solle jeden Tag so leben, als wäre es der letzte – und eines Tages behielte man damit schließlich recht. Der Film, der seine Handlung nach der Hälfte von Hollywood nach New York verlagert, um in einen kaum ausgeführten Verbrechensplot, einer Coming-of-Age-Story und allgemeiner Desillusionierung zu enden, plätschert munter dahin. Seine vermeintliche Leichtgewichtigkeit, die an keinen tiefen Erkenntnissen interessiert scheint, bietet dafür den Schauspielern großartige Entfaltungsmöglichkeiten. Sei es Jesse Eisenberg, Kristen Stewart, Steve Carrell oder Parker Posey – sie agieren mit einer Lässigkeit und Spielfreude, die an sich schon Sehvergnügen bereitet. Die Kameraarbeit von Vittorio Storaro, von flüssiger Eleganz und zugleich moderner Schärfe, sie in ein Licht, in dem sich Lässigkeit mit einem Hauch von Sentimentalität mischt. Das Publikum in Cannes nahm den Film mit warmem und sichtlich dankbarem Applaus auf.
Während Woody Allen also ein weiteres Mal beweist, wie unbekümmert es sich noch mit 80 Jahren Filme machen lässt, präsentiert sich das 69. Filmfestival von Cannes nicht nur aufgrund der erhöhten Sicherheitsstufe als wenig entspannt. Die Frage, was eine Veranstaltung, die all ihre Traditionen samt Rotem Teppich und Premierenfeiern in analogen Zeiten ausprägte, in digitalen Zeiten noch bedeutet, stellt sich jedes Jahr deutlicher. Auch in dieser Hinsicht setzte Woody Allen ein Zeichen. Sein Film wird von dem »neuen Player« am Markt, Amazon vertrieben. In Zeiten, in denen Filme wie die von Woody Allen mit ihrem mittelgroßen Budget und ihrer Ausrichtung auf ein ein erwachsenes Publikum von Hollywood zugunsten von Superhelden- und Event-Filmen aufgegeben hat, muss sich Cannes als Festival neu positionieren. Als Werbesprungbrett und Premierenbasis für Filme »abseits von Hollywood« könnte Cannes in Zukunft eine privilegierte Rolle zukommen.
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