Wenn es knistert in Paris

Die 1950er und 60er Jahre waren ein goldenes Zeitalter, was deutsche Verleihtitel angeht. Der Phantasie waren allenfalls Grenzen der Schicklichkeit gesetzt. Harmlose Zweideutigkeiten hatten Konjunktur, wofür „Meine Braut ist übersinnlich“ ein prächtiges Beispiel liefert. Es herrschte noch eine gewisse umgangssprachliche Unbefangenheit. Klingt "Mit mir nicht, meine Herren" nicht viel munterer als das originale "It happened to Jane"? Da merkt man doch sofort, welches Temperament Doris Day in der Hummerzuchtkomödie an den Tag legt!

Der Einfallsreichtum französischer Verleiher stand seinerzeit dem hiesigen in nichts nach. So wurde aus "My Sister Eileen" kurzerhand "Ma Soeur est du tonerre", was für mich immer nach einem heiteren Donnerschlag klang. Pons bietet als Übersetzung immerhin ein "Supermädel", was für sich schon flott genug wäre. Mit besagter Musikkomödie eröffnet die Cinémathèque francaise in Paris heute Abend eine Retrospektive des Regisseurs Richard Quine (https://www.cinematheque.fr/cycle/richard-quine-1252.html). Ein solcher Genieblitz (oder -donner, um im Jargon zu bleiben) ist in keinem anderen Land der Welt vorstellbar. Bei der US-Kritik konnte Quine nur selten einen Stich landen, die französische hingegen erkannte in ihm einen veritablen Auteur. Nicht nur Bertrand Tavernier und das "Positif"-Lager entdeckten ihn gründlich, auch Godard war sehr beeindruckt von »Pushover« (Schachmatt), ging aber nie so weit zuzugeben, dass er ihn mit inspiriert hat zu „Außer Atem“. Im Gegenzug war Quine enorm beeindruckt von »Hiroshima mon Amour«. »Pushover«, der ansonsten gern als Abklatsch von »Double Indemmnity« abgetan wird, ist ein ganz bemerkenswerter Film noir. Ridley Scott hat 1987 ein Plagiat von ihm gedreht. Seine Intrige ist ungemein raffiniert konstruiert und sein Pessimismus tiefschwarz ("Money isn't dirty, just people"). Beim Wiedersehen bestach mich jedoch seine Melancholie, sein Verzweifeln über Gier und Einsamkeit.

Auch hier zu Lande nahm man ihn lange Zeit nicht nennenswert wahr. 1989 hatten Michael Althen und Claudius Seidl die Gelegenheit, Blake Edwards zu interviewen. Der erschien völlig niedergeschlagen zu dem Termin und eröffnete ihnen, sein bester Freund Richard Quine habe sich am Vortag erschossen. Als sie davon berichteten, sagte sein Name kaum einem Kollegen etwas. Bevor ich ab den 90er Jahren in Paris meinen cinéphilen Radius erweiterte, war mir er vor allem aus dem Fernsehen bekannt, wo seine eingangs aufgezählten Jack-Lemmon-Komödie häufig liefen, ebenso wie sein verkanntes Melodram »Die Welt der Suzie Wong«. Als ich in Charles De Gaulle einmal auf meinen Abflug wartete, begegnete ich zufällig Olivier Assayas, den ich flugs in ein Gespräch über das Pariser Kinoprogramm verstrickte. Was mir so gut am Angebot gefiele, wollte er wissen. Dass ich bei jedem Besuch einen Film von Richard Quine sehen könne, erwiderte ich aus dem Stegreif. Ah, frohlockte er, von dem stamme das sublime Melo "Liaisons secrètes"! Dahinter verbirgt sich "Strangers when we meet" (Fremde, wenn wir uns begegnen), der in der Tat Quines Meisterwerk ist. Inzwischen hat sich das Angebot an Reprisen in Paris ziemlich ausgedünnt, was die Retro der CF umso dringlicher macht. Falls es Sie bis Ende des Monats an die Seine verschlagen sollte, ergreifen Sie die Gelegenheit beim Schopf! Falls nicht, könnten Sie im Heimkino einen gewissen Eindruck gewinnen, wobei Sie jedoch, abgesehen vielleicht von Quines Filmen mit Kim Novak, weitgehend auf Importe angewiesen wären. Seine frühen Films Noir, darunter »Drive a Crooked Road« (Auf gefährlicher Straße) und »Pushover« werden bisweilen neu aufgelegt. Den ersten sah ich kürzlich wieder und war verstört von der aussichtslosen Besessenheit Mickey Rooneys, der Dianne Fosters Liebe nie gewinnen wird - ein trauriger Slapstick über Unvereinbarkeit und neben "Baby Face Nelson" zweifellos der beste Film mit bzw. über diesen Schauspieler, der gefangen war in einem kindlichen Körper. Allerdings hat Quine auch drei der absolut besten "Columba"-Folgen inszeniert ("Alter schützt vor Torheit nicht", "Klatsch kann tödlich sein" sowie "Ein gründlich motivierter Mord"), an die leichter heranzukommen ist.

Novak und er hätten beinahe geheiratet, und ihr Studio Columbia hätte ihnen zur Hochzeit gern die hypermoderne Villa geschenkt, die der Architekt Kirk Douglas in „Fremde, wenn wir uns begegnen“ baut und in dem das Liebespaar am Ende voneinander Abschied nimmt. Über ihre Zusammenarbeit habe ich ausführlich in dem Band geschrieben, den die Stiftung Deutsche Kinemathek 1997 anlässlich der Kim-Novak-Hommage der Berlinale veröffentlichte. Mein Redakteur Rolf Aurich meinte damals, mein Essay "Verletzbare Schauspielerin, befangener Regisseur" sei sozusagen der Außenbordmotor der Publikation, weil ich es mir nicht nehmen ließ, auch auf Quines weitere Filme einzugehen. Das bei Jovis erschienene Bändchen ist heute wahrscheinlich schwer aufzutreiben. Natürlich könnte ich an dieser Stelle einfach bei mir selbst abschreiben, aber das würde eine endlose Angelegenheit. Leicht zu finden ist hingegen der Eintrag "Im Herzen brünett" vom 20. 12. 2014, in dem ich von einem der schönsten Post-Novak-Filme des Regisseurs schwärme, »Wie bringt man seine Frau um?«. Lars Penning hat in der "taz" ein sehr liebenswürdiges Novak-Porträt veröffentlicht (https://taz.de/Schoen-zu-sein-bedeutete-alles/!1414275/), in dem er auch den Regisseur würdigt.

Laut Wikipedia bezog Quine die Villa dann allein; als Quelle wird dafür die "Traumfrauen"-Edition der SZ zitiert, in der »Fremde, wenn wir uns begegnen« auf DVD erschien. (Die bekommt man heute noch, nicht nur in Antiquariaten.) Aber es zerrinnt immer mehr, was diesen unterschätzten, in vielen Genres heimischen Filmemacher betrifft. Anfang der 1990er interviewte ich Kim Novak in Deauville (immer für etwas gut, wie Sie erst in der letzten Woche erfahren konnten). Zu diesem Zeitpunkt lag Quines Selbstmord ein, zwei Jahre zurück. Sie hatte längst den Kontakt zu ihm verloren und sprach mit höflichem Bedauern von ihm. Vorsichtig deutete sie an, wie schwer er an ihrer Trennung trug. Den Filmen, die er danach drehte ist anzusehen, dass etwas zerbrochen war. Sie weisen Schleifspuren der Resignation auf, ästhetisch ebenso wie in ihrer Erzählhaltung. Die Genres hatte er nach wie vor im Griff, aber das Sicherheitsnetz des Studiosystems fehlte ihm. Seine Filme wurden zugleich bizarrer und konventioneller. Der abgedrehte „Paris when it sizzles“ (Zwei in Paris – inzwischen haperte es auch am Einfallsreichtum der Verleiher!) ist jedoch in seinem Irrlichtern faszinierend, eine turbulent persönliche Meditation über die Wechselfälle der Inspiration. Ich glaube, das hat mich immer an Quine berührt: die Ahnung, dass ein robustes Erzähltemperament ganz fragil sein kann.

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