Ein munteres Irrlicht

Einer der denkwürdigsten Dialoge der 1970er Jahren ist ohne Zweifel der Einzeiler "Sex mit dir ist wirklich ein kafkaeskes Erlebnis" aus Woody Allens »Der Stadtneurotiker«. Ich bin sicher, er ist auch heute noch für einen Lacher gut. Eingeprägt hat der Satz sich mir aber auch wegen der rätselhaften Dreingabe, die er in der Szene noch erhält.

Denn bei der Zigarette danach versichert die Bettgefährtin des Komikers Alvy Singer, das sei als Kompliment gemeint. Als Reporterin vom „Rolling Stone“ kommt sie gewiss viel herum und verfügt dementsprechend über Vergleichsmöglichkeiten; von intellektueller Prätention ganz zu schweigen. Aber dass diese Aufmunterung tatsächlich ernst gemeint sein könnte, würde man bei keiner anderen Darstellerin als Shelley Duvall in Betracht ziehen. Selbst wenn ihre Figuren logen, blieb sie treuherzig. Dem federleichten Singsang ihrer Stimme war keine Arglist zuzutrauen, ebenso wenig wie ihren riesigen Augen, die verblüffend sanfte Blicke werfen konnten. Es nimmt nicht wunder, dass einige ihrer Figuren in der Pflege arbeiten. So oder so traute sie sich furchtlos den Irrungen ihrer Zeit an. Es entsprach ihr, dass sie keinen Künstlernamen brauchte; nur den zweiten Vornamen Alexis ließ sie weg. Gestern ist sie im Alter von 75 Jahren an Diabetes gestorben. Wie man liest, verlief ihr Leben nicht glücklich, nachdem sie sich zu Beginn des Jahrtausends vom Filmgeschäft verabschiedete; womöglich war das auch schon davor der Fall.

Ich habe sie in den letzten Tagen – ein trauriger und schöner Zufall – häufig betrachtet, da ich einen Essay über Robert Altman schrieb. Wie sie zum Kino kam, erfuhr ich freilich erst heute früh aus den ersten amerikanischen Nachrufen. Der Regisseur lernte die gebürtige Texanerin kennen, als er 1970 in Houston »Brewster McCloud« (Nur Fliegen ist schöner) drehte. Sie kam zu einer Künstlerparty, um Käufer für Arbeiten ihres damaligen Ehemanns zu finden. Dessen Gemälde taugten offenbar nicht viel, aber sie war überzeugend. Eine gescheiterte Verkäuferin, die dennoch nicht verliert? Eine Gestalt ganz nach Altmans Gusto. Er engagierte sie vom Fleck weg für die Rolle der Fremdenführerin, die den verschubsten Brewster entjungfert und es auch sonst gut mit ihm meint. Außerdem ist sie eine teuflisch gute Autofahrerin und ich meine, sie wird als einzige von der Vogelkacke verschont, die sich als ulkige Heimsuchung durch den Film zieht.

Fortan gehörte die Autodidaktin fest zur buntscheckigen stock company Altmans, aus der sie freilich immer hervorstach, nicht nur in Haupt-, sondern erst recht in Nebenrollen. In »Nashville« ist sie hinreißend als Groupie namens "L.A. Joan", das in ständig wechselnden Perücken und Kostümen auftritt. Das Sterben ihrer Tante, zu dem sie eigentlich angereist ist, interessiert sie wenig. Man sieht es ihr nach. Denn die robuste Berühmtheitenjägerin ist ihrerseits leicht zu täuschen. Wunderbar verletzlich ist sie in dem Moment, als sie still lächelnd glaubt, Keith Carradine würde "I'm easy" nur für sie singen. (Tatsächlich gehört sie zu einem Dreigestirn, das sich gemeint fühlt.) In »Drei Frauen« zeigt sie sich von einer mulmigen Seite, stiehlt sprunghaft und extrovertiert ihrer Mitbewohnerin Sissy Spacek die Identität, wofür sie in Cannes den Darstellerinnenpreis gewann.

Ansonsten irrlichterte sie in den 70er Jahren voller Zuversicht durch die Wechselfälle des Lebens. Solche Gestalten nannte man damals gern„kook" (mein Wörterbuch bietet die Übersetzung "Ausgeflippte" an), was als Vokabel seither mangels Verwendungsmöglichkeiten aus dem Sprachschatz verschwunden ist. Als Adjektiv mag sie überdauert haben, ich fürchte jedoch, das wurde weitgehend durch das nichtssagende "quirky" ersetzt. Gleichviel, Duvalls Figuren waren stets ein wenig der Wirklichkeit entrückt. Ihre exzentrische Physiognomie stand dafür. Man könnte meinen, E.C. Segar habe sie vor Augen gehabt, als er Popeyes Gefährtin Olive Oyle erfand. Beinahe rettete sie 1980 sogar Altmans Verfilmung der Comics, zumal sie auch über ein gewisses Gesangstalent verfügte. Dass Stanley Kubrick sie im gleichen Jahr erbarmungslos durch das Overlook Hotel scheuchte, dominiert die Nachrufe auf Duvall naheliegenderweise. Mit »The Shining« wurde sie so etwas wie ein Star, was niemanden mehr verwunderte als sie selbst. Nach diesem Martyrium kam sie mitunter aus dem Tritt. Aber sie war immer gut, wenn sie ihrer Aura treu blieb. Sie passte zu Terry Gilliams »Time Bandits« und war eine kleine Wonne an der Seite von Steve Martin, der in „Roxanne“ eine Cyrano-Nase aufsetzte. In Jane Campions Kostümfilm »Portrait of a Lady« bewies sie mondänen Witz. In einem Pariser Kino bemerkte ich sie Mitte der 90er einmal in einem obskuren Neo-Noir von Steven Soderbergh, »The Underneath« (Die Kehrseite der Medaille). Da taucht sie unversehens als Krankenschwester auf, wie ein Komet, den man nicht mehr erwartet hatte. Ich glaube, der Protagonist erwacht da gerade aus dem Koma. Später las ich in einem Interview mit Soderbergh, er wollte dafür eine Schauspielerin, die wie ein Geist erscheint, ein Wesen aus einer anderen Realität. Es klang nicht so, aber vermutlich war das als Kompliment gemeint.

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