Der Haifisch hat neue Zähne

Im Februar 2017 erlebte Guido Altendorf eine herbe Enttäuschung. Ungeduldig packte er die DVD der "Dreigroschenoper" aus, die bei gerade bei "Filmjuwelen" erschienen war. Endlich war Wolfgangs Staudtes Neuverfilmung wieder verfügbar! Er traute seinen Augen nicht, als er den Silberling einlegte. Als Ausgangsmaterial diente eine matschige Fernsehkopie im falschen Format. Das konnte Altendorf nicht auf sich beruhen lassen. Es mag nicht der beste Staudte sein, sagte er sich, aber er hat besseres verdient.

Augenblicklich machte der Filmhistoriker, als Kurator am Filmmuseum Potsdam für Ausstellungen und Publikationen zuständig, sich auf die Suche nach erhaltenen Filmkopien. In der Privatsammlung des Berliners Werner Böhnke wurde er fündig: Der besaß die Erstaufführungskopie, die 1963 bei der Premiere in Berlin gezeigt worden war. Sodann nahm Altendorf Kontakt mit der auf Digitalisierungen spezialisierten Firma "screenshot" auf, mit der er schon bei früheren Projekten vertrauensvoll zusammengearbeitet hatte. Und der Rechteinhaber "Filmjuwelen" zeigte sich tatsächlich bereit, eine restaurierte Fassung herauszubringen. Das Bessere ist der Feind des Schlechten.

Böhnkes Kopie war etwas verblichen, was durch eine Farbkorrektur ausgeglichen werden konnte. Sie wies zudem einige Beschädigungen auf, zumal bei den Rollenwechseln. Derweil tat "screenshot" in einer weiteren Privatsammlung eine zweite Filmkopie auf, aus der die fehlenden Sekunden ergänzt werden konnten. Noch eine dritte Kopie tauchte auf, die zum Längenabgleich herangezogen wurde. Altendorf ließ es nicht mit der Restaurierung von Staudtes Film bewenden, sondern stellte darüber hinaus gründliche Recherchen an, insbesondere zu seiner Entstehungs- und Verwertungs-geschichte. Er hat wahre Schätze geborgen. Die Special Edition, die jetzt bei "Filmjuwelen" auf DVD und Blu-ray herausgekommen ist, kann mit enormem, staunenswertem Bonusmaterial prunken. Darunter finden sich der deutsche trailer (kurioserweise von Werner Höfer moderiert, der seinerzeit und dank des "Internationalen Frühschoppen" wohl für Seriosität bürgte), eine heftig gekürzte US-Version, zeitgenössische Premierenberichte nebst Interviews mit den Stars Curd Jürgens, Gert Fröbe und Hildegard Knef sowie mit Lotte Lenya, die als Witwe Kurt Weills Mitinhaberin der Rechte war. Ferner gibt es die Playbacks der deutschen Musiknummern (Altendorf erinnern die zeitgenössischen Arrangements von Peter Sandloff an Ray Coniff, ich musste an Martin Böttcher denken - gleichviel, lassen sich gut beim Kochen hören) und alternative Versionen der Moritat des Mackie Messer, die Sammy Davis jr im Film als Bänkelsänger interpretiert (wohlgemerkt auf Englisch, also "Mack the Knife"). Falls Sie über ein CD-ROM-Laufwerk verfügen, können Sie das Werkbuch des Films studieren, ebenso wie Staudtes Manuskript und die Entwürfe des großen Szenenbildners Hein Heckroth. Mit dieser mustergültigen Ausgabe hat Guido Altendorf fürwahr ungeheure Anstrengungen unternommen, den von der Kritik seinerzeit weitgehend verfemten Film zu rehabilitieren.

Welcher Interviewer hätte heute noch die Chuzpe, einem Regisseur auf den Kopf zuzusagen, er finde seinen Film "schrecklich". Egon Netenjakob und seine Mitstreiter am Staudte-Band der "Edition Filme" hatten sie. Der Regisseur verteidigt ihn, räumt aber ein, die Produktionsbedingungen seien "makaber" gewesen. Im digitalen Booklet rekapituliert Altendorf akribisch die Kaskade der Hindernisse, die sich der Realisierung in den Weg stellten. Selbst die geopolitischen Verwerfungen verschworen sich gegen das Projekt: Nach dem Bau der Berliner Mauer avancierte Bert Brecht in der BRD postum zur Persona non grata und wurden seine Stücke von Theatern boykottiert. Die Chronik der Umbesetzungen ist haarsträubend (Yves Montand als Mackie? Heinz Rühmann als Bettlerkönig Peachum? Giulietta Masina als dessen Tochter Polly?) und wird dem nach der Lektüre umgehend alarmierten Tony Crawley (crawleyscastingcalls.com) reichlich Stoff bieten. Ursprünglich hatte John Huston Interesse an einer Neuverfilmung angemeldet, nachdem sich "Die Dreigroschenoper" mit erklecklicher Verspätung in New York 1954 zum Bühnenhit gemausert hatte. Produzent Kurt llrich erwarb die Rechte von Lenya und Brechts Witwe Helene Weigel, die strenge Forderungen stellte. Es grenzt an ein Wunder, dass der in drei Sprachversionen (deutsch, englisch und französisch) gedrehte Film vertragsgemäß bis zum 31. 12. 1962 als Kopie beim Notar hinterlegt werden konnte. Zunächst verpflichtete der Produzent Helmut Käutner als Regisseur, wandte sich dann an Staudte, der lange und gegen den Widerstand Ulrichs auf einer Rahmenhandlung in der Gegenwart beharrte und der in der Wartezeit zwei andere Filme realisierte. Altendorf meint, es sei nicht zuletzt das starke Interesse aus den USA das Projekt am Laufen hielt. Es wird nicht geschadet haben, dass Bobby Darins Version von „Mack the Knife“ in der Zwischenzeit eine wahnsinnige Popularität errungen hatte. Joseph E. Levine, der gerade mit dem Import von "Hercules" steinreich geworden war, erwarb die US- und weitere Auslandrechte für eine horrende Summe. .

Am Dienstag vergangener Woche stellte Altendorf die Special Edition in Potsdam vor. Dazu zeigte er die unrestaurierte Premierenkopie aus Böhnkes Sammlung, die ich gar nicht so verblichen fand. Es war aber auch eine halbe Ewigkeit her, dass ich zuletzt einen Film auf Zelluloid gesehen hatte und ich erfreute mich einfach an der Körnigkeit des 35-mm-Materials. Der Abend war ohnehin eine Zeitreise, eine doppelte, wenn man so will: ein Stück aus den 1920er Jahren, dass in Optik und Sound der 1960er getaucht wird. Das Publikum war zahlreich und nostalgisch gestimmt. Wie der Film ist, den wir sahen, berichte ich morgen.

 

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