Niemand wünscht sich Socken
Sie brauchen keine Geschenkempfehlungen zu Weihnachten mehr. Im Grunde sind Sie es sogar leid, mit derlei saisonbedingten Ratschlägen behelligt zu werden. Denn Sie haben längst schon alle Vorkehrungen getroffen, haben die passenden Bücher, DVDs oder Soundtracks für Ihre Lieben bereits gefunden.
Wenn all dies auf Sie zutrifft, können Sie getrost weiterlesen. Ich will Ihnen einfach nur berichten, was ich in der letzten Zeit so gelesen habe. Dazu muss ich vorweg klarstellen, dass das meist zur Recherche und Vorbereitung von Artikeln geschah. Leider ist meine Lektüre viel zu selten absichtslos. Auf meinem Nachttisch stapeln sich etliche Bücher, die ich nur zum Vergnügen lesen möchte, aber es dann immer wieder aufschiebe. Einige liegen schon seit Jahren dort. Eine Schande. Allerdings verschwimmen die Grenzen zwischen Lust und Nutzen regelmäßig; eigentlich immer. Uninteressant ist keines der Bücher, die ich zur Hand nehme. Meist bleibe ich länger hängen, als der Zweck es erfordert. Aber nicht einmal die Abschweifung ist in der Regel absichtslos. Umwege sind in meinem Beruf selten vergeblich.
Vor einigen Wochen arbeitete ich an einem Essay über das Bild, das wir uns von Schauspielern, insbesondere Stars, machen. Dafür zog ich einen ganzen Stapel Bücher zu Rate, von zentraler Bedeutung war für mich jedoch "Watching them be" des Amerikaners James Harvey, den ich als Kenner der klassischen Hollywoodkomödie schätze. Der Titel lehnt sich an eine Aussage von James Baldwin an, der über Stars wie John Wayne und andere sagte, man schaue ihnen nicht beim Spielen zu, sondern beim Sein. Die Erkenntnis dieser besonderen Art von Schaulust war ein nützliches Sprungbrett für meine Überlegungen. Auch die neue Wayne-Biographie von Scott Eyman konsultierte ich aus diesem Anlass, die mir punktuell großen Spaß machte, aber wenig half für meinen Artikel. Ein typischer Fall von Querlesen, allerdings mit dem selbstgegebenen Versprechen, bei Gelegenheit mal das ganze Buch ins Auge zu fassen. Während der Lektüre beschlich mich allerdings die unbändige Lust, noch einmal in einem Roman zu blättern, in dem John Wayne eine der Hauptfiguren ist: "Nachrichten aus der wirklichen Welt" des Spaniers Juan Minana. Die Ausgangssituation ist großartig: Während der Dreharbeiten zu einem seiner schlechteren Filme, Circus World, verschwindet der Schauspieler in Spanien für einige Tage spurlos. Der junge Erzähler des Romans wird von der Produktion beauftragt, ihn zu suchen. Er findet seine Spur in einer jener Westernstädte, die seinerzeit in Spanien für Italowestern entstanden wurden und entdeckt ihn schließlich in einem Vorstadtkino, wo Wayne sich, vom Publikum unerkannt, Rio Bravo anschaut. Den Roman hatte ich vor Jahren verschlungen, nicht zuletzt, weil er mir viel über das Idol meiner Teenagerzeit verriet, das mir bis dahin unbekannt war. Zum Beispiel erfuhr ich, dass er eine besondere, fast exklusive Vorliebe für Lateinamerikanerinnen hatte. Bis zu diesem Zeitpunkt wusste ich nur, dass seine Frau Pilar hieß (seine Segelyacht ebenfalls, wenn ich mich nicht irre). Nachhaltig im Gedächtnis ist mir die Schilderung der Pressekonferenz geblieben, die die Produktionsfirma zum Drehbeginn in Barcelona veranstaltete: Da konzentrierte sich das Interesse der Weltpresse auf Claudia Cardinale, während ihre Partnerin Rita Hayworth in den Augen der Journaille Anfang der 1960er längst abgemeldet war. Obwohl ich ein glühender Bewunderer von CC bin, schmerzte mich diese Episode über die Vergänglichkeit des Ruhms seinerzeit sehr. Bei der Vorstellung des neuen Bond-Films musste ich vor einigen Tagen wieder an sie denken, wo sich alle Kameras auf Léa Seydoux richteten und kaum jemand mehr Notiz nahm von Monica Belluccci.
Das schönste Leseerlebnis bescherte mir in der letzten Zeit "Der Kreis der Lügner", eine Sammlung von philosophischen Erzählungen aus aller Welt, die der Drehbuchautor Jean-Claude Carrière schon 1998 zusammengestellt hat, die aber im letzten Jahr in einer prächtigen Neuausgabe im Alexander Verlag erschienen ist. Sie enthält auch die Zeichnungen, die Carrière zu einigen der Geschichten anfertigte. Er hat Geschichten aus aller Welt und aus allen Zeiten zusammengetragen: vielleicht auch, um sich selbst zu vergewissern, wie und warum man Geschichten erzählt. Es ist ein Kompendium der Weisheiten, die amüsant zu lesen sind, mich oft zum Lachen brachten und zum Nachdenken. Obwohl der Abgabetermin drängte, habe ich die Geschichten mit der Muße gelesen, die ihnen angemessen ist. Immer nur ein paar hintereinander, damit keine den Eindruck der vorherigen zu rasch überdeckt. So wurden sie zu einem verlässlichen Begleiter meiner Tage. Ich kann sie Ihnen nur ans Herz legen. Womit klar ist, dass ich Sie eingangs hinters Licht geführt habe. Aber das haben Sie natürlich längst schon gemerkt.
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