Génération intérim
Bis vor ein paar Tagen war er für mich nicht viel mehr als ein Gerücht. Im letzten Jahr machte er in Frankreich gehörig Furore, als gleich drei seiner Filme in Cannes liefen. Bei ihrem Kinostart wurden sie gefeiert als Aufbruch eines jungen, vitalen, unabhängigen Kinos, das einen frischen Blick auf die Gegenwart und einen anarchischen auf die Politik wirft. Anscheinend versteht er es, Gleichgesinnte und Verbündete zu finden.
Es ist unwahrscheinlich, dass Sie seinen Namen schon einmal gehört haben: Vincent Macaigne. Bis zum letzten Donnerstag lief kein einziger seiner Filme in unseren Kinos an. Und es ist ebenso unwahrscheinlich, dass er nun auch hier zu Lande auf Anhieb berühmt wird. „2 Automnes, 3 Hivers“ (2 Herbste, drei Winter) wird von seinem Verleih nur mit ganz wenigen Kopien gestartet (in Berlin läuft er in einem einzigen Kino, der verdienstvollen „Brotfabrik“). Seine Vermarktung wird gewiss nur einen winzigen Bruchteil der PR-Kosten verschlungen haben, mit denen zeitgleich zwei andere, weit grobschlächtigere Komödien aus Frankreich („Große Jungs“, „Eine ganz ruhige Kugel“) ins Rennen geschickt werden. In Frankreich hingegen widmen Tageszeitungen wie „Libération“ ihm ganzseitige Porträts (er ist auch ein arbeitsbesessener Theaterautor und – regisseur); die New Yorker „Village Voice“ begrüßte Macaigne gar als den neuen Depardieu.
Sein Starruhm ist noch eine sehr fragile Angelegenheit. Seine bislang 18 Filme, von denen der Großteil nach 2010 entstanden ist, haben in Frankreich insgesamt etwas unter 400.000 Zuschauer gefunden. Ich habe keinen Zweifel, dass er irgendwann einmal in einem richtig großen Hit mitspielen wird. Aber vorerst schätzen ihn nur Eingeweihte. Meine Neugierde war enorm, als ich in der riesigen Filmsammlung meines Pariser Gastgebers N.T. Binh nach Filmen mit ihm forschte. Binh warnte mich, er sei ein etwas monotones Darstellertemperament („Wenn Du ihn einmal gesehen hast...“). Es brauchte eine Weile, mich vom Gegenteil zu überzeugen. Beim ersten Sehen erwischte mich „La Fille du 14 Juillet“ auf dem falschen Fuß. Ich fand ihn eine ziemlich alberne Satire - jeder Präsident wirkt lächerlich, wenn man ihn beim Abnehmen der Parade zum Nationalfeiertag im Zeitraffer filmt. Seine Idee von Komik fand ich eher aufgesetzt als exzentrisch. Warum soll ich über Figuren mit falschen Bärten und lustlos übergestreiften Kostümen lachen? Das Schlüsselwort schien mir Verstellung zu sein. Nach französischer Kritikermeinung knüpft diese Art der Stilisierung an die Nouvelle Vague an. Mich erinnert das eher an die demonstrativ komischen Gesten in Godards späten Filmen. Aber Macaigne gefiel mir. Auf den ersten Blick macht er nicht viel her mit den langen, fettigen Haaren, die man nur mit viel Wohlwollen als schütter bezeichnen kann (tatsächlich zeichnet sich ab, dass er demnächst eine kapitale Glatze tragen wird) und seiner speckigen Kleidung. Aber seine Stimme ist wunderbar: heiser und doch samtig. Und eine gute Stimme zählt im redseligen französischen Kino. Er fügte sich zwar ein das überzogen clowneske Treiben, aber seine Bereitschaft, das Absurde zu akzeptieren, fand ich dann doch sympathisch. Hübsch, wie er den Wagen nur mit seinem Unterschenkel in Richtung Ferien lenkt.
Während „La Fille du 14 Juillet“ eher damit kokettiert, nimmt „La Bataille de Solférino“ die politische Situation in Frankreich tatsächlich etwas schärfer in den Blick. Macaignes Ex-Frau ist eine Fernsehjournalistin, die vom zweiten Wahlgang im Mai 2012 berichten soll. Vor dem Sitz der Sozialisten in der Rue Solférino befragt sie Anhänger Hollandes, Demonstranten und Schaulustige. Die wahre Schlacht wird jedoch zwischen den geschiedenen Eheleuten ausgetragen: Eigentlich sollte Vincent (das ist sein Rollenname) seine Kinder am Vortag abholen, hat es aber verschwitzt und taucht nun in ihrer Wohnung mit einigen abscheulichen Geschenken für die gemeinsamen Kinder und einer Topfblume für sie (für einen Rosenstrauß reichten seine zehn Euro nicht mehr) auf. Das verletzt ihre Sorgerechtsverinbarung, die vorsieht, dass er sie nur in ihrer Gegenwart sehen darf. Den überforderten Babysitter hatte sie vorgewarnt, ihr Ex sei unberechenbar und gewalttätig. Der ungeheuer nervöse Film mündet jedoch in einer schönen Katharsis, als sich alle Beteiligten (dazu gehören auch ein befreundeter Anwaltsgehilfe und ihr neuer Freund) schon aus Erschöpfung versöhnen und versichern, in Zukunft friedlicher und vernünftiger miteinander umzugehen. Was sich bereden lässt, das ist der Endreim seiner Filme, ist nur halb so schlimm - und leider auch halb so wichtig. Macaigne kann hier jedoch mehr Facetten zeigen: seine verschubste, zuweilen auch heftige Streitlust weicht einer zärtlichen Verlegenheit, wenn er mit seinen Kindern allein sein darf.
In „2 Automnes, 3 Hivers“ formuliert er die Figur des Mittdreißigers, der mit dem Älterwerden hadert und sich orientierungslos durchs Leben mogelt, weiter aus. Hier darf er noch mehr Zwischentöne finden. Die Dialoge wirken nicht mehr, als würde er sie gerade improvisieren; direkt den Zuschauer zu adressieren, ist eine Stilfigur, die er schon in „La Fille du 14 Juillet“ ausprobiert hat. Im Grunde ist es seine erste Hauptrolle, in den zwei anderen Filmen ist er noch viel mehr Ensemblespieler. Aber vielleicht ist genau das seine Stärke: ein Schauspieler zu sein, der eine Generation repräsentiert. Er verleiht der Krise ein bohèmehaftes Antlitz. Sein darstellerisches Terrain ist das Dazwischen; in „La Fille du 14 Juillet“ schwenkt die Kamera einmal auf das Logo der Zeitarbeitsfirma „Génération intérim“. Ein neuer Depardieu ist er mitnichten. Allenfalls könnte er in die Fußstapfen von Mathieu Amalric treten, bevor dieser die Tatkraft entdeckte. Auf die Idee, Vincent Macaigne als Bond-Schurken zu besetzen, wird bestimmt niemand kommen.
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