Sky: »Jerrod Carmichael Reality Show«

»Jerrod Carmichael Reality Show« (Serie, 2024). © Home Box Office, Inc.

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Radikal ehrlich

Jerrod Carmichael sorgte vor zwei Jahren mit seinem Bühnenprogramm »Rothaniel« für Aufsehen: Statt Stand-up-Comedy zu performen, machte er die Bühne zum intimen Therapieplatz, auf einem Hocker sitzend sprach er mit dem Publikum über sein Coming-out, seine Familie, über Traumata und über all das Unausgesprochene, vor allem zwischen ihm und seinen Eltern. Damit traf er einen Nerv, weil er sehr offen das eigene Leben und die eigenen Emotionen ins Zentrum rückte und dabei dezidiert nicht auf Lacher und Pointen ausgerichtet war. »Rothaniel« wurde mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet, unter anderem mit einem Emmy Award. Nun ist Carmichael zurück mit der »Jerrod Carmichael Reality Show« (auf Sky Go/Wow). Und dreht den Grad an radikalem, ehrlichem Bekenntnis noch mal weiter. Unter anderem auch weil seine Familie auf das öffentliche Comingout damals kaum reagiert hatte.

Ein Kamerateam begleitet nun sein Leben als offen schwuler Schwarzer Comedian – und Carmicheal lässt die Grenzen zwischen Dokumentation und Inszenierung unklar. In acht Folgen testet er seine engsten Beziehungen, alte Freunde, die Eltern, den Boyfriend, konfrontiert sie mit unbequemen Wahrheiten und versucht, ihnen Reaktionen zu entlocken. Er fährt mit dem Vater im Camper meilenweit zu der zweiten Familie, die dieser jahrelang verheimlicht hat, und rechnet vor der Kamera mit diesem Doppelleben ab. Seine Mutter Cynthia, die als religiöse Christin mit ihrer Homophobie den Lebenswandel des Sohnes ablehnt, konfrontiert er ebenso vor laufender Kamera. Dabei verbindet er die Begegnungen mit selbstreflexiven Momenten zu Hause, allein oder mit seinem verständnisvollen Boyfriend Mike, sowie mit Bühnenauftritten, bei denen er das Erlebte kommentiert. Diese Metastruktur wird noch ergänzt durch einen mit Maske und verfremdeter Stimme unkenntlich gemachten Freund, der Carmichaels Exhibitionismus kritisch kommentiert, wie eine Art Über-Ich. Dessen Einwände sind sehr treffsicher, es zeigt sich, dass Comedy-Kollege Bo Burnham dahintersteckt.

Die Serie ist ein ambivalentes Vergnügen: Einerseits beeindrucken die raffinierte Inszenierung und die Offenheit, mit der Carmichael Themen anschneidet. Zugleich stellt sich immer wieder die Frage, für wen er all das macht und auf wessen Kosten. Carmichaels eigenes Ideal, reinen Tisch machen zu wollen, trifft auf die Privatsphäre seiner Mitmenschen, bei denen nicht immer klar ist, wie freiwillig sie dabei mitmachen. So erwähnt er mehrmals, seine Eltern großzügig finanziell zu unterstützen. Aber wer setzt Grenzen, wenn er in seiner Suche nach schonungsloser Ehrlichkeit zu weit geht? So trifft er sich vor laufender Kamera zu einem Sexdate, das er seinem Freund verheimlicht, und lügt später in der Paartherapie darüber. Immer wieder wird ein letztes Stück der ganzen Wahrheit den Beteiligten wohl auch erst beim Sehen der jeweiligen Folge klar. Das brachte ihm mehrfach den Vorwurf des Narzissmus und der Selbstgerechtigkeit ein. Und tatsächlich schaut man der Selbstdarstellung mit ihrem manipulativ-entblößenden Gestus mit einer Mischung aus Faszination und Fremdscham zu.

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