Disney+: »Shogun«
© Kurt Iswarienko/FX/Disney+
Man würde den Stoff eigentlich für hoffnungslos veraltet halten: Ein englischer Seefahrer landet im Japan des frühen 17. Jahrhunderts und wird dort Zeuge eines komplizierten Machtkampfs in der herrschenden Elite. White Saviorism, Exotismus, keine starken Frauenfiguren – die Einwände sind schon da, bevor man eine Folge gesehen hat. Aber die von Rachel Kondo und Justin Marks nach der Vorlage von James Clavell kreierte Serie »Shogun« überrascht damit, dass sie die Welt, in der sie spielt, mit einem Respekt und einem Detailreichtum entfaltet, der in die Geschichte hineinzieht, ohne dass man es als Anpassung an heutige Sehgewohnheiten empfindet. Im Gegenteil schildern die ersten Folgen auf explizite Weise eine Reihe von Gewaltakten, die die Erinnerung an »Game of Thrones« hervorrufen, wo geköpfte Häupter und aufgerissene Leiber ebenfalls den Ton setzten, von wegen: Es geht um Macht und wer am Ende übrig bleibt.
Ganz falsch ist der Vergleich von »Shogun« und »Game of Thrones« auch deshalb nicht, weil sich der geschilderte Machtkampf als komplizierter erweist, als es zunächst den Anschein hat. Der englische Seefahrer, der in der ersten Folge vor einer der japanischen Inseln strandet, entpuppt sich erstens als ahnungslos und zweitens zunächst als vollkommen irrelevant für das Geschehen, in das er hineingerät. Er erfährt erst nach und nach, was die Serie den Zuschauern als Expedition anbietet: Der Tod des Taiko, des kaiserlichen Herrschers, hat ein Machtvakuum hinterlassen; sein kleiner Sohn ist noch zu jung, um zu regieren, weshalb verfügt wurde, dass bis zu seiner Volljährigkeit die fünf mächtigsten Adelshäuser des Landes gemeinsam regieren müssen. Aus »gemeinsam« ist natürlich längst ein »gegeneinander« geworden. Mit Misstrauen betrachtet wird vor allem Fürst Toranaga (Hiroyuki Sanada), der als legendärer Kriegsherr Einfluss und Ländereien anhäufte. Sein Vorteil ist, dass die restlichen vier Fürsten keine Einheit bilden: Zwei von ihnen sind unter der religiösen Schirmherrschaft der Portugiesen zum Katholizismus übergetreten. Wie überhaupt die Portugiesen als Priester und als Kaufmänner eine Rolle spielen und eigene Interessen verfolgen.
Auf die Portugiesen und ihre Handelsverbindungen hat es das Schiff, mit dem John Blackthorne (Cosmo Jarvis) strandet, eigentlich abgesehen. Er will Japan für die englische Krone erschließen, und unterschätzt von Anfang an die Kultur, der er hier begegnet. Statt ihn als »weißen Retter« einzusetzen, machen die Serien-Autoren die Doppelperspektive ihrer Protagonisten interessant: Da ist der Blick von Blackthorne, der zunächst nur Barbaren sieht, die seltsamerweise besonders sich selbst Barbarisches antun. Mit der Praxis des »Seppuku«, des Ehrensuizids, kann er sich bis zuletzt nicht anfreunden. Und da ist der Blick der Japaner, die in ihm den ungewaschenen Barbaren erblicken, der sich nicht zu benehmen weiß und offenbar keinen Ehrbegriff hat.
Cosmo Jarvis spielt diesen Blackthorne nicht als den tapferen Abenteurer, sondern verleiht ihm etwas Zwielichtiges, Ungeschliffenes, Halbseidenes: ein Angeber mit losem Mundwerk, einem großen Überlebenswillen und beachtlicher Lernfähigkeit. In der Welt der feinen Unterschiede, die für seine japanischen Herren essenziell ist, wirkt er wie ein Elefant im Porzellanladen. Der zentrale Held der Serie aber ist Fürst Toranaga, den der großartige Hiroyuki Sanada mit meisterhafter Zurückhaltung als weisen Strategen spielt. Alles an Toranaga ist beherrscht, er ist ein Führer, der seine Gedanken selbst vor den engsten Kollaborateuren verborgen hält. Das verleiht seiner Figur etwas Unberechenbares und Gefährliches, obwohl er fast immer in der Defensive scheint. Die dritte Hauptperson der Serie ist Mariko (Anna Sawai), die Frau eines seiner Samurai, die Toranaga Blackthorne als Übersetzerin an die Seite stellt. Anstatt nur Mittlerin und eine Art Love Interest zu sein, wird Mariko zur fast komplexesten Figur der Erzählung: Eine Frau zwischen den Kulturen – auch sie ist christlich getauft –, die auf ihre Weise um ihre Handlungsfähigkeit ringt und den Europäer allenfalls als zeitweiligen Verbündeten begreift.
Um diese drei Charaktere herum baut die Serie weitere Figuren mit widersprüchlichen Motivationen auf. Und während die Handlung mit Fluchten und Schlachten und Überfällen ständig vorandrängt, lernt man die einzelnen Figuren so gut kennen, dass man um ihr Ende bangt. Man kann es als Tribut an die modernen, globaler werdenden Zeiten begreifen, dass in der Serie größtenteils Japanisch und nur dann Englisch gesprochen wird, wenn die Europäer oder Blackthorne mit seiner Übersetzerin unter sich sind. Schon allein deshalb ist »Shogun« keine Serie, die man mit Blick aufs Smartphone nebenher schauen kann. Sie fordert Konzentration und die Bereitschaft, sich mit fremden Namen und Plätzen vertraut zu machen. Eine prachtvolle Ausstattung und eine packende Kameraarbeit helfen dabei. Vorwissen braucht man übrigens keines.
OV-Trailer
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