Disney+: »Beatles '64«

© Disney+

Ansteckend wie die Masern

Als die Beatles im Februar 1964 erstmals den Atlantik überquerten, lag Amerika noch in Schockstarre, ausgelöst durch die drei Monate zuvor geschehene Ermordung von J. F. Kennedy. »Vielleicht«, so Paul McCartney über den nunmehr 60 Jahre zurückliegenden US-Besuch, »brauchte Amerika so etwas wie die Beatles, um die Trauer hinter sich zu lassen.« Diese nicht ganz ernst gemeinte These zählt zu jenen zahlreichen neuen Aspekten, die David Tedeschi in seinem Film über die »britische Invasion« der Beatles in den USA anbietet.

Die Herausforderung dieses Projekts war keine geringe: Wie kann man dieses bestens dokumentierte popkulturelle Megaevent aus einem etwas anderen Blickwinkel betrachten? Einen Schlüssel liefert das restaurierte dokumentarische Material, das die Brüder Albert und David Maysles bereits 1964 mit »What's Happening! The Beatles in the U.S.A.« in die Kinos gebracht hatten. Mit seinerzeit neuen, vergleichsweise unauffälligen Kameras hatten die beiden Pioniere des Direct Cinema die Band hautnah beobachtet.

Aber was bedeutet das? Sehen wir die Beatles in intimen, unbeobachteten Momenten? Von wegen. Obwohl erst Anfang zwanzig, agieren die Jungs schon als erfahrene Medienfiguren, die vor laufenden Kameras ihr Image reproduzieren. Blödeleien im Hotelzimmer, mit denen sie alles und jeden auf die Schippe nehmen, wirken daher bereits genau so, wie es Richard Lester dann als Mockumentary in »A Hard Day's Night« inszenierte. »Beatles '64« richtet den Fokus auf den Auftritt der Band in der »Ed Sullivan Show«, einem der ikonischen Momente der US-Fernsehhistorie. Interessanter sind aber die Momente abseits des Starrummels. Zu Wort kommen Frauen, die von den Maysles seinerzeit gefilmt wurden, als sie sich mit hysterischer Euphorie die Lunge aus dem Hals gebrüllt haben. Sechzig Jahre später erinnern sich einige von ihnen, wie sich das damals anfühlte. Während Elvis' Hüftschwung noch bedrohlich wirkte, so eine der Frauen, waren die langhaarigen Jungs aus England mit ihrer androgynen Anmutung irgendwie ungefährlicher. In den Augen der Feministin Betty Friedan verkörperten die vier Briten gar eine »neue Männlichkeit« jenseits überkommener Machoklischees.

Der Film sucht nicht nach Erklärungen für die Popularität der vier Musiker. Im Gegensatz zur Dokuserie »Get Back« von 2021 mit ihren restaurierten Aufnahmen aus der Spätphase der Band beleuchtet »Beatles '64« jene Phase der frühen Sechziger, als die Beatles in den USA auch musikalisch erst ankommen. Im Radio verglich sie ein Kritiker mit den Masern. Ihre Frisuren seien »wie große Puddingschüsseln«. Die Musik »verzichtet auf Harmonie und Melodie«. Und die Texte seien »durchsetzt von verrückten Schreien wie Yeah, Yeah, Yeah«. Mit seiner kaleidoskopartigen Nahaufnahme jener zwei Wochen im Februar 1964 will der vielstimmige Film spürbar machen, inwiefern der frische Wind, den die Beatles in die USA brachten, das Aufkommen der Gegenkultur mit initiierte.

Meinung zum Thema

Ihre Meinung ist gefragt, Schreiben Sie uns

Mit dieser Frage versuchen wir sicherzustellen, dass kein Computer dieses Formular abschickt