Apple TV+: »The New Look«
»The New Look« (Serie, 2024). © Apple TV+
»Creation is survival.« Für Menschen wie den Haute-Couture-Designer Christian Dior (Ben Mendelsohn) trifft das gewiss zu. Und mag der Grund dafür sein, dass der Superstar der französischen Mode nach dem Zweiten Weltkrieg einen Stil kreierte, der nicht vom vorangegangenen Schmerz, von Entbehrung und Kriegsgräuel kündete, sondern vom Gegenteil: Todd A. Kesslers Serie »The New Look« erzählt von der Entstehung eben dieses Kleidertrends, der das Modehaus Dior fortan definierte.
Die Modebilder selbst, die die normative »Schönheit« (junge, ebenmäßige Models in opulenten, eleganten Roben) repräsentieren, geraten dabei zugunsten der politischen Ebene in den Hintergrund. Das ist außergewöhnlich – und unterscheidet »The New Look« von als Modegeschichte getarnten Familiendramen wie »House of Gucci« oder den zu oberflächlichen Showwerten der Miniserie »Halston«.
Denn Kessler geht es weniger um die Schnitte als vielmehr um die Schicksale und Entscheidungen der französischen High-End-Couturiers während der deutschen Besetzung von Paris im WW2. Vor allem um die Rolle von Coco Chanel: 2011 erschien das Buch »Sleeping with the Enemy: Coco Chanel's Secret War« des Journalisten Hal Vaughan, in dem er sowohl Chanels Liebesbeziehung zum deutschen Nazi-Agenten Hans von Dincklage, genannt »Spatz«, als auch ihr Verrat gegenüber ihren jüdischen Investoren Pierre und Jacques Wertenheimer beschreibt.
Auf dieses Buch bezieht sich Regisseur Kessler – und gibt sich folgerichtig Mühe, Chanel ambivalent darzustellen. »Ich bin Modedesignerin«, wehrt Chanel (Juliette Binoche) zunächst ein Angebot des Nazi-Offiziers Walther Schellenberg (Jannis Niewöhner) ab, das ihr durch ihren charismatischen Liebhaber Hans von Dincklage (Claes Bang) zugetragen wurde. Aber Schellenberg insistiert: »Sie werden mit dieser Aktion mehr in Erinnerung bleiben als mit jedem Kleid, das Sie je erschufen.« Bei der Mission mit dem Decknamen »Operation Modellhut« ging es angeblich um Verhandlungen, wegen denen Chanel ihren alten Bekannten Churchill kontaktieren sollte. Die Operation schlug fehl, und Chanel musste sich später sowohl dafür als auch für die Anwendung der »arischen Gesetze« gegenüber den Wertenheimers verantworten.
Schellenberg hatte Unrecht: Die Marke Chanel ist aktuell noch immer (beziehungsweise wieder) Liebling der Modewelt, Chanels Rolle als Kollaborateurin, wegen der sie in die Schweiz floh und erst 1954 nach Paris zurückkehrte, fast vergessen.
Umso wichtiger, dass Kessler seine Serie langsam und genau erzählt. Auch aufgrund der langen dramaturgischen Bögen in den zehn fast einstündigen Folgen benutzt er eine Menge Backflashs, um die Motive seiner Protagonist:innen wieder in Erinnerung zu rufen. Das macht »The New Look« formal etwas simpel – komplexer sind die Charaktere: Die von Binoche mit Leidenschaft und Charme gespielte Chanel ist eine vielschichtige Figur, fast noch interessanter (und in der Öffentlichkeit weniger bekannt) wird ihre Jugendfreundin Elsa Lombardi (Emily Mortimer) gezeichnet, eine feierwütige Frau aus gutem Hause, deren instabile Persönlichkeit in eine Morphiumsucht führen. Das Leben Christian Diors, den der seinem fast kahlen, untersetzten Vorbild kaum ähnelnde australische Schauspieler Mendelsohn mit wenig Präsenz (und, wie alle in der englischsprachigen Serie, künstlichem französischen Akzent) verkörpert, ist dagegen mit dem grauenhaften Schicksal seiner Schwester Catherine (Maisie Williams) verknüpft: Als Widerstandskämpferin wurde Catherine verraten, nach Ravensbrück deportiert und dort gefoltert, musste Zwangsarbeit leisten, überlebte den Horror – und kehrte 1945 schwer traumatisiert zurück.
So hüllt »The New Look« einen relevanten Teil unserer Mode- und Gesellschaftshistorie in großartige Kleider mit poetischen Namen wie »La Fidélité«. Ein so hübscher wie schlauer Trick: Gilt doch Mode zu Unrecht in vielen Kreisen noch immer als oberflächlich. Dabei ist sie ein Teil der Kunst und hat als solche die Aufgabe, unsere Gesellschaft zu spiegeln. »The New Look« beweist eindrücklich, dass vestimentäre Narrative funktionieren.
OV-Trailer
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