Amazon: »Expats«
© Jupiter Wong/Amazon MGM Studios
Die Wege dreier Frauen aus unterschiedlichen Hemisphären kreuzen sich 2014 in Hongkong. Dieser Stoff nach einem Besteller von Janice Y. K. Lee, einer aus der ehemaligen Kronkolonie stammenden US-Amerikanerin, ist die Grundlage einer bemerkenswerten Amazon-Miniserie. Expats (von Expatriates) nennt man Menschen, die befristet im Ausland tätig sind. Während ihr Mann seinem lukrativen Job nachgeht, lebt Amerikanerin Margaret (Nicole Kidman) als Hausfrau im abgeschirmten Resort für arrivierte Ausländer. Dank Chauffeur und Küchenhilfen genießt sie allen Komfort. Doch zuweilen zieht sich die Mutter dreier Kinder allein in eine leere Hochhauswohnung zurück, wo sie in einer Plastikwanne badet, um Ferien vom Ich zu nehmen.
Ihre Nachbarin Hilary (Sarayu Blue), mit der Margaret eine angespannte Freundschaft verbindet, verkörpert das Gegenteil. So scheint es. Gewiss, die beruflich selbstständige Frau aus einer hohen indischen Kaste genießt soziale Reputation. Doch der Besuch ihrer unnachgiebigen Mutter erinnert sie schmerzlich daran, wie extrem der psychische Druck auf ihr lastet, mit vierzig doch noch schwanger zu werden und sich gemäß der Tradition ihrer Herkunft familiären Pflichten unterzuordnen.
Die festgefahrene Situation beider Frauen gerät jäh in Bewegung durch die quirlige Mercy (Ji-young Yoo), eine junge Koreanerin mit amerikanischem Pass. Sie stürzt Margarets Familie in eine Tragödie und wirbelt zugleich Hilarys Familienpläne durcheinander. Dank dem wachen Blick der chinesischen Regisseurin Lulu Wang (»The Farewell«) wird die Oberschicht-Enklave der beiden Frauen indirekt kommentiert durch die Mühen des Alltags. Genervt sucht Margaret in einem Supermarkt nach einem Produkt, und nebenbei wird deutlich, dass die Amerikanerin sich nie die Mühe gemacht hat, die Sprache der Stadt, in der sie lebt, zu lernen.
Nicole Kidman spielt keine Sympathieträgerin. Die Gebrochenheit ihres Charakters erweckt jedoch Neugier auf die unzähligen Kleinigkeiten ihrer Umgebung, die Margaret wie in Trance ignoriert. Der Blick auf Hongkong ist dabei untypisch. Malerische Stadtpanoramen haben Kinoqualität, fungieren aber nicht als postkartenidyllischer Hintergrund. Denn in dem Maß, in dem auch die Charaktere der Bediensteten Kontur erhalten, rückt die angespannte Situation Hongkongs im Jahr 2014 in den Blick. Die Miniserie spielt zur Zeit der Regenschirmproteste, eines letzten Aufbäumens demokratischer Widerstandskräfte gegen die kommunistische Diktatur Chinas.
Der Sohn einer Arbeiterin, die mit Margarets Nanny befreundet ist, wird verhaftet: In die Enklave der Expats dringen solche Themen nicht vor. Die Serie formuliert so eine leise Kritik am westlichen Desinteresse gegenüber dem Schicksal Hongkongs – wo die Regenschirme nach und nach von einem Dauerwolkenbruch hinweggefegt werden. All das zeigt Lulu Wang mit einer Art liebenswürdig lächelnder Bissigkeit. Das macht diesen sensibel inszenierten Sechsteiler zu einem Ereignis.
OV-Trailer
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