Film des Monats September: »Die Mittagsfrau«
Helene und ihre Schwester Martha sind in kleinbürgerlichen Verhältnissen in Bautzen aufgewachsen. Der Vater ist nicht aus dem Ersten Weltkrieg zurückgekehrt, die Mutter hat sich in den Wahn geflüchtet, ist nicht mehr ansprechbar. Die kluge, vitale Helene will ausbrechen – und tut eine reiche Tante in Berlin auf, die beide Schwestern zu sich nimmt. Im Partyrausch der Zwanziger, im liberalen Großstadtmilieu blühen die jungen Frauen auf; Helene verliebt sich, jobbt in einer Apotheke, arbeitet auf ein Medizinstudium hin. Dann stirbt ihr Freund bei einer Demonstration. Und die Mehrheit der Deutschen wählt den Faschismus. Da ihre Mutter Jüdin ist, wird es für Martha und Helene gefährlich. Martha entschließt sich mit ihrer Lebensgefährtin zur Flucht. Helene bleibt, des Studiums wegen. Die Entscheidung, aus Tarnungsgründen einen Nazioffizier zu heiraten, ist fatal. Wilhelm denkt stramm autoritär und macht Helene praktisch zur Gefangenen. Als sie schwanger wird, spitzt sich die Situation zu: Sie will das Kind vom »Feind in ihrem Bett« nicht.
Auf Basis der Bestsellervorlage von Julia Franck ist der österreichischen Autorenfilmerin Barbara Albert eine eindrucksvolle Verbindung aus Frauenporträt und Zeitbild gelungen. Die Handlung des Films umfasst die zwanziger bis fünfziger Jahre. Und obwohl weder der Krieg noch die KZs ins Bild kommen, entfaltet sich von Anfang an eine Atmosphäre der beständigen Gefährdung – unterbrochen von Akten der Solidarität unter Frauen, die Albert immer wieder in einem verfremdeten, grobkörnigen Stil entrückt und poetisiert. Thema des Films ist nicht nur das schiere Überleben unter unmenschlichen Bedingungen. Vielmehr zeigt Albert präzise, was autoritäre, patriarchale Strukturen mit der Psyche und den Körpern von Frauen machen. Mala Emde spielt mit großer Verve und auch in den heiklen Szenen überzeugend eine Protagonistin, die unter anderen Lebensbedingungen ihren Intellekt und ihre Sexualität genießen könnte und überdies als Krankenschwester oder Ärztin eine Berufung zur klassischen »Care-Arbeit« verspürt. Wie die Moral und die Widerstandskraft dieser Frau unter toxischen Verhältnissen fast zerbrechen, zeigt der Film auf drastisch-sinnliche Weise. Darin ist »Die Mittagsfrau« sehr aktuell.
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