Apple TV+: »Hijack«
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In Dubai erwischt Sam Nelson (Idris Elba) gerade noch so seinen Heimflug nach London. Er ist in gedrückter Stimmung, denn er befindet sich in der Trennungsphase von seiner Frau. Zu Hause geht bereits der neue Partner seiner Ex ein und aus. Doch für trübe Gedanken hat er wenig Zeit, denn das mit 216 Menschen besetzte Flugzeug wird von vier Gangstern gekapert.
In sieben Echtzeit-Episoden entlang der siebenstündigen Flugdauer entfaltet sich ein atmosphärischer Thriller mit ziemlich perfekt orchestrierter Spannung. Die routinierten Ansagen des Flugpersonals zur Beruhigung der latent angespannten Passagiere – und wer ist das nicht, selbst als Vielflieger –, das leise Gezänk beim Gepäckverstauen, die »Pings« und das Summen elektronischer Geräte: Alles erzeugt nun Gänsehaut.
Ist der Schauplatz anfangs auf die klaustrophobische Situation im Flugzeug beschränkt, wird er, Meile um Meile, vergrößert. Von Dubai über militärische Abhörstationen im Irak, Rumänien, Ungarn bis nach London, wo aufgescheuchte Politiker und Experten beratschlagen und auch Sams Angehörige involviert werden, erweitert sich der Spielraum nach Art eines Spinnennetzes. Die sich fortbewegende Spinne ist das gekidnappte Flugzeug, in ihrem sich vergrößernden Gespinst bleiben Fliegen hängen. So werden auch jenseits des Fluges Menschen einem perfiden Plan geopfert. Schließlich gerät das größte potenzielle Opfer ins Visier: London.
Im Zentrum steht Idris Elba als Stoiker Sam, der beruflich so etwas wie ein Verhandlungsführer zu sein scheint und sein professionelles Geschick einsetzt, um Blutvergießen zu verhindern. Anfangs geht es darum, der Welt heimlich zu signalisieren, dass etwas nicht stimmt. Dazu muss er zunächst tatkräftige, sich überschätzende Passagiere in Schach halten. Vom vermeintlichen Verräter, der mit den Entführern paktiert, wechselt er zur Rolle des Anstifters, der zur offenen Aktion aufruft.
Am meisten Spaß (wenn man es so nennen darf ) macht das Improvisieren der Geiseln, die nach jedem Strohhalm greifen: von Taschenspielereien à la »Nippel durch die Lasche ziehen« über gefinkelte Täuschungsaktionen bis zum brachialen Hauen und Stechen. Die Kommunikation sowohl innerhalb des Fliegers wie mit der Außenwelt erfolgt über Bande. So wächst sich winziges Unbehagen angesichts vernachlässigenswerter Ungereimtheiten zur Gewissheit aus, dass etwas Ungeheuerliches geschehen könnte. Und der Feind scheint immer ein Schritt voraus zu sein.
Bei der Reaktion der Politiker kommen die spätestens seit 9/11 diskutierten moralischen Zwickmühlen ins Spiel, etwa, ob ein ganzes Passagierflugzeug zur Verhütung einer größeren Katastrophe geopfert werden darf. Ist der Film in den Details auch generisch – man braucht keine Wetten darauf abzuschließen, ob jeder noch so harmlos scheinende Nobody, auf dem in der ersten Episode ein Sekundenbruchteile längerer Kamerablick ruht, sich als Schlüsselfigur entpuppen könnte –, so ist dennoch spürbar, wie viel Sorgfalt in das Drehbuch geflossen ist.
Das zeigt sich, leider, gerade im Bemühen, ein Anti-9/11-Szenario zu entwerfen, in dem die Entführer eben nicht die üblichen Verdächtigen sind. Bei der Installation des »Whodunit« muss dann allerdings in einer immer angestrengter ausformulierten Interventionsspirale eine jener haarsträubenden Verschwörungserzählungen beglaubigt werden, die bereits bei 9/11 florierten und einzig in einem James-Bond-Film ihre Berechtigung hätten. In der Realität bräche der wahnwitzige Plan schon aufgrund der unübersehbaren Zahl von Hintermännern, Mitwissern und Erpressungen unter seiner Komplexität zusammen.
Unterkomplex sind dagegen die Figuren, selbst Sam, der schattenhaft bleibt. Besonders die Entführer und Mitverschwörer aber stehen in ihren Emotionen und logischen Verirrungen oft einzig im Dienste der Spannungserzeugung und sind menschlich wenig glaubhaft. Am Ende, wenn die Schraube zu fest gezogen wird, landet der Thriller, dem man lange das Prädikat Extraklasse verleihen mochte, dann doch in einem etwas trashigen Hafen.
OV-Trailer
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