Apple TV+: »Eine Frage der Chemie«

»Eine Frage der Chemie« (Serie, 2023). © Apple TV+

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Der Sexismus der anderen

Man kann bei historischen Stoffen in Serienform natürlich – siehe »The Crown« – auf größtmöglichen Realismus setzen, um die dargestellte Zeit so authentisch wie möglich wieder aufleben zu lassen. Oder man macht – »Bridgerton« lässt grüßen – gar nicht erst einen Hehl daraus, dass Geschichtsrevisionismus, wenn nicht gar Utopie angesagt ist. Doch es lässt sich auch ein schmaler Grat zwischen diesen beiden Polen finden: Nach »Funny Woman« mit Gemma Arterton lässt jetzt auch »Eine Frage der Chemie« mit viel Aufwand die Mitte des vergangenen Jahrhunderts wieder auferstehen, ohne dabei je vergessen zu machen, dass die Geschichte aus der Perspektive des Jahres 2023 erzählt wird.

Konkret heißt das: Brie Larson, die hier nicht nur die Hauptrolle übernommen hat, sondern auch als Produzentin beteiligt ist, verkörpert in dieser Apple TV+-Produktion zwar einerseits eine typische Frau der 1950er Jahre, andererseits aber doch auch eine durch und durch moderne Protagonistin, deren Blick auf die eigene Lebenswelt von heutigen Idealen und Erfahrungen geprägt zu sein scheint.

Elizabeth Zott (Larson) hat Chemie studiert, arbeitet aber lediglich als Laborassistentin. In den patriarchalen Strukturen der Wissenschaftswelt und der Gesellschaft ist für Frauen wie sie eigentlich nur Platz, wenn sie guten Kaffee kochen können. Nur Dr. Calvin Evans (Lewis Pullman) – Typ: eigenbrötlerischer Exzentriker und Nobelpreis-Anwärter – erkennt erst ihr enormes Talent und erliegt dann ihrem eigenwilligen Charme. Zwei brillante Sonderlinge, wie füreinander bestimmt und allein gegen die Welt – so in etwa könnte die Geschichte in »Eine Frage der Chemie« nach den ersten beiden Episoden verlaufen, und man würde sich das gern ansehen. Doch dann kommt alles anders: Irgendwann ist Elizabeth alleinerziehende, arbeitslose Mutter, die um ihre wegweisenden Forschungsergebnisse betrogen wurde und sich als Fernsehköchin mit Chemiewissen neu erfinden muss.

Es ist eine Serie über die Unwägbarkeiten des Lebens und das Nichtaufgeben geworden, die Lee Eisenberg basierend auf dem gleichnamigen Roman von Bonnie Garmus entwickelt hat, und er fährt dabei erfreulich viel Ungewöhnliches auf. Mit unerwarteten Zeitsprüngen muss man hier genauso rechnen wie damit, dass zwischendurch mal ein Hund zum Erzähler einer Episode wird.

Nicht jede Idee ist dabei bis ins Letzte ausgereift. Ein Subplot über Calvins Nachbarin Harriet (Aja Naomi King) etwa, die gegen den Bau eines Freeways durch das überwiegend von Schwarzen bewohnte Viertel kämpft, ist beispielsweise allzu halbherzig in die Geschichte integriert. Und dass die Klarheit, mit der Elizabeth den ihr entgegengebrachten Sexismus analysiert, so klingt, als habe sie bereits den Feinschliff mehrerer Feminismuswellen hinter sich, kann mitunter auch plump wirken. Aber Brie Larson und der Rest des Ensembles spielen so gut, die Kostüme sind so herrlich anzusehen, und nicht zuletzt ist der Blick sowohl aufs Kochen als auch auf die Wissenschaft so originell, dass dieses charmante Rezept am Ende doch ziemlich gut aufgeht.

OV-Trailer

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