Buch-Tipp: Sulgi Lie – Das lächerliche Ernste
Sein 27. Film hatte kürzlich einen deutschen Kinostart, sein 28. (erstaufgeführt im September 2022 beim Festival von Toronto) harrt noch seiner deutschen Premiere. Der koreanische Regisseur Hong Sang-soo brachte es zwar bereits mit seinem Debütfilm »The Day the Pig Fell Into the Well« (1996) hierzulande zu Festivalehren und ist Stammgast der Berlinale, aber wer nicht in Berlin lebt (wo auch das rührige fsk-Kino gerade eine Filmreihe ihm zu Ehren zeigte), der ist auf ausländische DVD-Veröffentlichungen angewiesen.
Denn seine aktuelle Produktion »Die Schriftstellerin, ihr Film und ein glücklicher Zufall« ist nach »Right Now, Wrong Then« erst das zweite Werk, das bei uns einen Verleih fand. Jetzt liegt die erste deutschsprachige Monografie über ihn vor. Verfasst von dem in Berlin lebenden Filmwissenschaftler Sulgi Lie widmet sie sich in fünf Kapiteln, grob chronologisch angelegt, den Eigenheiten seiner Filme.
Mit »Männer, Frauen und Alkohol« kann man die zwar griffig auf einen Punkt bringen, aber dieses Buch geht tiefer. Steht der Alkohol für den »alltäglichen Gebrauch eines Rauschmittels ohne glamourösen Mehrwert«, wo »Sprechen und Trinken, Redseligkeit und Trinkseligkeit« ineinandergreifen, so kommen die Männer in den Filmen gar nicht gut weg: Hong Sang-soo entwirft »Porträts männlicher Erbärmlichkeit«, seine Männer »sind geil und verklemmt zugleich«, »lebensuntaugliche Gestalten«, geprägt durch die Kluft zwischen Denken und Handeln – »Ich bin nicht betrunken«, äußert einer seiner Protagonisten einmal im Zustand vollkommener Trunkenheit.
Ältere, verheiratete Männer, die junge Frauen anmachen, treffen wir immer wieder. Die »Beschädigungen«, die diese Frauen erfahren durch die Verhältnisse, die sie mit diesen Männern eingehen, werden herausgearbeitet; erst in den letzten Filmen sehen wir Frauen, die sich befreien können, was auch mit dem patriarchalischen System in Korea zusammenhängt, einer Gesellschaft, die einerseits die kapitalistische Hypermoderne verkörpert, andererseits in einer konfuzianischen Tradition steht, die komplizierte Sprachregelungen und Verhaltenskodexe, darunter einen ausgeprägten Höflichkeitsmodus, verlangt.
Von alldem erzählen Hong Sang-soos Filme in Wiederholungen und Dopplungen, Verschiebungen in Details und dem Ineinanderfallen von scherzhafter Form und ernsthaft Gemeintem. Sulgi Lies gut lesbare Studie, die auch auf die Unterschiede zu von Hong Sang-soo geschätzten Filmemachern wie Bresson, Rohmer und Buñuel eingeht, ist eine gelungene Einführung.
Sulgi Lie: Das lächerliche Ernste. Le Studio, Wien 2022. 96 S., 15 €.
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