Buch-Tipp: Porträt Andreas Dresen

Nicht »authentisch« sagen

»Abenteuer Wirklichkeit« war die erste Monografie über den Filmemacher Andreas Dresen betitelt – von David Lode, 2009 bei Schüren erschienen. Jetzt sind gleich zwei Neuerscheinungen herausgekommen, beides lange Gespräche mit dem Filmemacher. Das eine wurde geführt von Hans-Dieter Schütt, der zahlreiche Biografien über und Gespräche mit überwiegend Kulturschaffenden aus der früheren DDR veröffentlicht hat; das Dresen-Buch erschien erstmals 2013 und liegt hier in überarbeiteter und ergänzter Neuauflage vor. Das andere Gespräch stammt von dem Konstanzer Wissenschaftler Bernd Stiegler; er sprach am 15./16.3.2021 insgesamt sieben Stunden mit Dresen. Von den sechs Gesprächen Schütts ist nur das erste datiert, auf 2017.

Beide Gespräche sind nicht chronologisch aufgebaut, sondern arbeiten sich an bestimmten Motiven und Themenkomplexen ab. Die Fragen Stieglers sind wissenschaftlicher, machen sich oft an Details fest, die aber auch immer wieder Grundsätzliches beinhalten. Es beginnt mit der Verwendung von Musik in den Filmen, schlägt aber auch den Bogen zu Dresens Auftritten als Musiker, vor allem im Gefolge des »Gundermann«-Films, die der Regisseur als »ein schönes Hobby« bezeichnet. Später geht es um »Fernsehen und Fernsehbilder in den Filmen«, um »Alkohol und Sex«, um »peinliche Szenen und Running Gags« und um die Titel der Filme. Stiegler charakterisiert Dresens Werk eingangs als »komplexe Auseinandersetzung mit der Wirklichkeit, der Realität, dem Dokumentarischen und dem Fiktionalen«.

Dresen nimmt diese Komplexität auf, wenn er betont, »das Wort ›authentisch‹ hat für mich mit Kino einfach nichts zu tun«, und von der »Herstellung des Authentischen« spricht, von der Arbeit, die notwendig ist, Realität zu schaffen, etwa die extreme Farbbearbeitung bei »Nachtgestalten«, die 70er-Jahre-Schlager in »Sommer vorm Balkon« oder die »surrealen Dinge« in »Halbe Treppe« (gedreht mit einer Mini-DV-Kamera). 

Aufschlussreich sind auch seine Ausführungen zu den Filmen, die ohne Drehbuch auf der Basis von Improvisationen der Schauspielerinnen und Schauspieler entstanden (»Halbe Treppe«, »Wolke 9«, »Halt auf freier Stecke«). »Dokumentarismus als Methode« bedeutet für Dresen, sich »mit der Welt, von der ich erzähle, im Vorfeld auseinanderzusetzen«. Der Fernsehfilm »Die Polizistin« wanderte vom ORB zum NDR und schließlich zum WDR und durchlief tatsächlich 13 Drehbuchfassungen, bis ­Dresen und seine Autorin Laila Stieler endlich zufrieden waren. In einem Text, den Stieler (die seit 1988 an zehn seiner Filme beteiligt war) für das Buch von Schütt beisteuert, gibt sie ­darüber Auskunft, wie sich der Stoff bis zur finalen Fassung in einem Zeitraum von sieben Jahren veränderte.

Die beiden Publikationen ergänzen sich aufs Schönste. Bei Schütt erfährt man auch Privates, so über das Aufwachsen Dresens mit seiner Mutter in einer Einraum-Neubauwohnung in Schwerin, über das nicht immer einfache Verhältnis zu seinem Vater, dem Theaterregisseur Adolf Dresen, und über seine filmischen Anfänge, nachdem ihm sein Vater zum 12. Geburtstag eine Schmalfilmkamera geschenkt und er sein Taschengeld in Filmmaterial investiert hatte. 1981 rief er zudem ein Schülertheater ins Leben. Er berichtet auch von der »entwürdigenden« Erfahrung, als ihn im Jahr darauf eines Morgens ein Stasioffizier zum Verhör abholte. Grund war ein Amateurfilm, der sich mit dem Thema Republikflucht beschäftigte. Auch darüber, wie die Arbeit an dem thematisch so schwierigen »Halt auf freier Strecke« durch eine persönliche Krise zusätzlich belastet wurde, gibt Dresen bereitwillig Auskunft. Zwei empfehlenswerte Veröffentlichungen, die man gut parallel lesen kann.  
 

 

 

Hans-Dieter Schütt: Andreas Dresen. Glücks Spiel. Porträt eines Regisseurs. Zweite, völlig überarbeitete und ergänzte Auflage. be.bra verlag, Berlin 2021. 304 S., 22 €.

Bestellmöglichkeit

 

 

 

 

AugenBlick. Konstanzer Hefte zur Medienwissenschaft. Nr. 81: Andreas Dresen. Ein Gespräch. Schüren Verlag, Marburg 2021. 135 S., 12,90 €.

Bestellmöglichkeit

Meinung zum Thema

Ihre Meinung ist gefragt, Schreiben Sie uns

Mit dieser Frage versuchen wir sicherzustellen, dass kein Computer dieses Formular abschickt