Buch-Tipp: Harald Neckelmann – Lockruf des Kinos

Anzupreisen ist . . .

Es war eine außergewöhnliche Zusammenarbeit zwischen dem experimentierfreudigen Kinobetreiber Siegbert Goldschmidt und dem innovativen Maler und Grafiker Josef Fenneker. In den späten 10er und frühen 20er Jahren des letzten Jahrhunderts, als sich das Kino von seinem halbseidenen Ruf befreite und zur Filmkunst entwickelte, erfand Goldschmidt den Kinobesuch als Kulturereignis, für das er entsprechend höhere Preise verlangte, umgerechnet spektakuläre 25 bis 100 Euro für eine Kinokarte. Als Verbündeten holte er sich den Grafiker Josef Fenneker. Dessen Arbeiten als »Propagandazeichner« für die UFA-Lichtspiele waren ihm seit 1918 aufgefallen, ab 1919 arbeitete Fenneker dann exklusiv für das »Marmorhaus«, auf den rund 140 großformatigen Plakaten, die das Stadtbild am Kudamm einige Jahre lang prägten, war nicht nur der Name des Kinos, sondern auch der des Betreibers prominent zu lesen.

Harald Neckelmann hat sich als Journalist und Sachbuchautor häufig mit den Verbindungen von Architektur, Geschichte und Gesellschaft in Berlin befasst. Auf knapp 30 Seiten entfaltet er das Leben und Wirken von Josef Fenneker im Spiegel der Zeit, vom Geburtsjahr 1895, das er mit dem Kino teilte, über seine Jahre als Meisterschüler von Emil Orlik, den Ruhm als Kinoplakatmaler fürs »Marmorhaus« und die gefährliche Nähe zur Propaganda des Nationalsozialismus bis zum Tod 1956. Nach dieser substanziellen Einführung gehört der Hauptteil des schönen Bandes den Plakaten, die in toller Druckqualität wiedergegeben und von kleinen Texten begleitet sind.

Der Spagat zwischen Gebrauchsgrafik und Kunstwerk erforderte »eine schnelle Einarbeitung in den anzupreisenden Filmorganismus«. Immerhin gibt es ein Foto, auf dem Fenneker mit Zeichenblock und Stift auf einem Filmset zu sehen ist. Denn statt einfach Motive aus den Filmen zu übertragen, machte Fenneker seine Arbeiten zur kreativen Schnittstelle zwischen Kino, Zeitströmungen und Kunststilen; die Filmwerbung ließ sich von Expressionismus, Fauvismus und Futurismus inspirieren und wurde dabei selbst zur Kunst. So erinnert ein Plakat für Ludwig Bergers »Der Richter von Zalamea« an Franz Marcs Darstellungen von Landschaft und Pferden. Das Motiv für »Hyänen der Lust« hat Anklänge von Toulouse-Lautrec und die grell schwefeligen Farbkontraste erinnern immer wieder an Max Beckmann. Die Vielfalt der Farben, Formen und Motive eröffnet eine wunderbare Entdeckungsreise in Kunst und Film der Weimarer Republik.


Harald Neckelmann: Lockruf des Kinos. Der Plakatkünstler Josef Fenneker. Schüren, Marburg 2022. 208 S., 34 €.

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