Buch-Tipp: Christoph Menardi – Der Traum vom großen Kino

Zwischen Kino und Fernsehen

Beim Namen Bavaria Film denkt man zuerst vermutlich an »Das Boot«, den internationalen Großerfolg als Kinofilm und längere Fernsehserie, dessen Reboot es mittlerweile auf drei Staffeln gebracht hat. Aber natürlich ist die Geschichte des Unternehmens erheblich vielfältiger, wie man jetzt auf 549 Seiten nachlesen kann. Dabei beschränkt sich die Dissertation von Christoph Menardi auf die Jahre 1945 bis 1994 – die Zeit davor wurde 2018 in einer Dissertation von David Friedmann behandelt, das letzte Vierteljahrhundert wird hier wegen fehlender »analytischer Distanz« und »noch bestehender Vertraulichkeitsforderungen« ausgeklammert.

Es ist eine spannende Geschichte, die Menardi erzählt, faktengesättigt und ohne jeglichen Wissenschaftsjargon. In ihr spiegelt sich auch (bundes-)deutsche Mediengeschichte. Es ist durchgängig eine Geschichte vom »wirtschaftlichen Überleben durch die Fernsehproduktion und dem immer wiederkehrenden Traum vom großen Kino«.

Nach 1945 war die Bavaria Film eines von mehreren Filmstudios in den westlichen Besatzungszonen und dann der Bundesrepublik, verfügte aber bereits 1950, nach dem Ausbau, über acht Studiohallen, die ein Drittel der westdeutschen Studiokapazität ausmachten. 180 Filme wurden hier zwischen 1947 und 1954 gedreht, immerhin 28,3 Prozent der westdeutschen Gesamtproduktion, ab 1950 auch US Produktionen wie »Decision Before Dawn«. Doch der Studiobetrieb war mit hohen Fixkosten verbunden, das Studio nur unregelmäßig ausgelastet. In den Kinos machten sich schnell ausländische, vor allem die amerikanischen, Verleihe breit, die über eine große Anzahl von Filmen verfügten (die sie weltweit einsetzen konnten), während die deutsche Filmproduktion nur langsam in die Gänge kam, zuerst eingeschränkt durch alliierte Bestimmungen, später durch die Produktionskosten. Ab 1957 war der Kinobesuch wegen des Fernsehens rückläufig, öffentliche Gelder waren gefragt. Die Rettung kam 1959 mit einer Mehrheitsbeteiligung von WDR und SDR – kontinuierliche Produktion sorgte für Planbarkeit, Auslastung der Ateliers und wirtschaftliche Stabilität.

Seitdem bestimmt der Spagat zwischen einem privatwirtschaftlich organisierten Unternehmen und den Anforderungen der öffentlich-rechtlichen Sendeanstalten als bestimmende Gesellschafter die Bavaria. Mal schlägt das Pendel mehr zur Kinoproduktion aus mit Glamour, weltweiter Aufmerksamkeit (Oscar für »Cabaret« an Rolf Zehetbauer 1972, »Das Boot« und die beiden Nachfolgefilme, die Wolfgang Petersen hier drehte) und größeren Profiten, aber auch erhöhtem Risiko, kulminierend in der – stark defizitären – Zusammenarbeit mit der Abschreibungsfirma Geria (u. a. Billy Wilders »Fedora«) Ende der Siebzigerjahre. Mal auch zum Fernsehen mit der Entwicklung des ruppigen Tatort-Kommissars Schimanski 1979 (alle Folgen werden von der Bavaria produziert), Showsendungen für die Privatsender (ab Ende der 80er) und die erste Daily Soap der ARD, »Marienhof« (1992) – das garantierte »hohe Planbarkeit bei gleichzeitig konstanter Kapazitätsauslastung«. Auseinandersetzungen mit den Gesellschaftern, vor allem dem großen WDR, für 25 Prozent des ARD-Programms verantwortlich, ziehen sich durch. Mal verlagert der WDR auf politischen Druck Produktionen nach NRW (die »Lindenstraße« wird komplett in Köln gedreht, obwohl sie in Bayern angesiedelt ist), mal bremst er die Kinoneigungen und die Initiativen der Bavaria aus und zieht Zuständigkeiten an sich. Die Bavaria muss sich zwangsläufig diversifizieren, auch in neue Technik investieren, um weiterhin ein Player am Markt zu sein. Als überragender Erfolg erweist sich dabei die Bavaria Film Tour, die einmal mehr von der anhaltenden Popularität des Boots profitiert.

Ein höchst empfehlenswertes Buch für jeden, der sich für deutsche Filmgeschichte interessiert; getrübt wird die Lektüre durch einige Fehler bei Filmtiteln und Regisseursnamen. Und übrigens war nicht Richard Widmark der Partner von Elizabeth Taylor in »Divorce His, Divorce Hers«, sondern ihr Ex-Mann Richard Burton, das war ja der (einzige) Clou des Films.

 


Christoph Menardi. Der Traum vom großen Kino. Die Unternehmensgeschichte der Bavaria Film GmbH von 1945 bis 1994. edition text + kritik, München 2022. 549 S., 59 €.

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