Starzplay: »We are who we are«
»We Are Who We Are« (Staffel 1, 2020). © Yannis Drakoulidis
Es ist als Jugendlicher nie einfach, in eine neue Klasse zu kommen. Fremd fühlt es sich schon allein im eigenen Körper an, umso schlimmer, wenn sich auch noch die ganze Welt um einen herum verändert. Denn Fraser (Jack Dylan Grazer) ist nicht einfach bloß neu in der Klasse oder der Schule. Der 14-Jährige ist mitsamt seiner Familie von New York City ins verschlafene Chioggia gezogen, einen italienischen Küstenort in Venetien, weil seine Mutter Sarah (Chloë Sevigny) als Colonel am dortigen US-Militärstützpunkt die Leitung übernehmen soll.
Und so schlurft Fraser mit seinen Baggyshorts und gelben Haaren durch die Anlage, immer auf Abstand, und beobachtet das Treiben an der Highschool, checkt das Verhalten Gleichaltriger, ihre Posen und Codes, nimmt hier mal ein Handyvideo auf, lauscht dort einer Unterhaltung und versucht, sich einen Reim auf dieses ihm unbekannte Soziotop zu machen. Bald wird Britney (Francesca Scorsese) auf ihn aufmerksam und nimmt ihn unter ihre Fittiche. Und so entdecken wir aus Frasers Perspektive diesen Militärstützpunkt, der selbst ein Fremdkörper in dieser venezianischen Küstenlandschaft ist, ein amerikanischer Mikrokosmos patriotischer Soldaten und Angestellter, streng geregelt und hierarchisch, in dem sich die Jugendlichen ausprobieren, ihre Identitäten erkunden und an- und ablegen wie Klamotten oder Nagellackfarben.
Es ist das Jahr 2016, und viele der Teenager identifizieren sich als queer, nicht festgelegt, genderfluid. »We Are Who We Are«, »Wir sind, wer wir sind«, der Titel der achtteiligen Miniserie, ist Programm. Schubladendenken ist nicht ihr Ding, sie sind freie Radikale in einer strengen, ritualisierten Struktur. Draußen herrscht amerikanischer Präsidentschaftswahlkampf, überall plärrt ein organgefarbener Clown aus Bildschirmen, den zu dem Zeitpunkt keiner ernst nimmt, auch die wahlberechtigten Erwachsenen wie Sarah und ihre Lebenspartnerin Maggie (Alice Braga) nicht. Fraser lernt Caitlin (Jordan Kristine Seamón) kennen und ist fasziniert von ihrer nonbinären Attitüde, erkennt in ihrem Anderssein eine verwandte Seele. Der Beginn einer platonischen Freundschaft, die so etwas wie der rote Faden ist durch den Alltag dieser Gruppe Jugendlicher und ihrer Familien.
»We Are Who We Are« stammt von Luca Guadagnino, dem Regisseur so eigenwilliger, stilbewusster und vielschichtiger Werke wie »I Am Love«, »Suspiria« oder »Call Me By Your Name«. Das ist schon deshalb bemerkenswert, weil es nicht nur Guadagninos erstes Serienprojekt ist, sondern weil er nach eigenen Angaben weder einen Fernseher besitzt noch einen Streamingdienst abonniert hat. Einzig David Lynchs »Twin Peaks« und Rainer Werner Fassbinders »Berlin Alexanderplatz« lässt er gelten, wohl nicht zufällig beide von ihren Machern als überlange Filme bezeichnet. Auch Guadagnino freilich macht nicht einfach »nur Fernsehen«, sein queeres Generationenporträt ist nicht nur bewusst und aufgeweckt, was Gender- und Identitätsdiskurse angeht, die eklektische Jugendkultur von Musik (Blood Orange, Klaus Nomi, Prince) über Games bis hin zu Büchern (Ocean Vuongs »Auf Erden sind wir kurz grandios«) wirkt ebenso authentisch und »gelebt« wie ihr Style, ihre Klamotten, die Frisuren bis hin zum genderfluiden Fingernagellack. Eine gewisse postpunkige Coolness zeigt sich auch in der Besetzung, von Indie-Ikone Chloë Sevigny, die als lesbischer Colonel und Frasers Mutter zu sehen ist, über den Rap-Star Kid Cudi bis zur lässig-aufsässigen Cliquen-Anführerin Britney, die von Martin Scorseses Tochter Francesca gespielt wird. Muss man das wissen, alle popkulturellen Verweise verstehen? Natürlich nicht, aber es erhöht den Genuss.
Vor allem aber verweigert sich Guadagnino deutlich gängiger Dramaturgie, die Szenen mäandern, fließen ineinander, bilden Ellipsen, und Szenen tauchen an anderer Stelle erneut auf, nur aus der Sicht einer anderen Figur. Wenn man sich auf diesen Flow einmal eingelassen hat, entwickelt die Serie einen eigenartig hypnotischen Sog, dem man nicht mit der Aufgeregtheit des Bingewatching, sondern eher im Rahmen eines gechillten Sichtreibenlassens erliegt, ganz im Augenblick.
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