Streaming-Tipp: »Work in Progress«

Abby McEnany und Theo Germaine in »Work in Progress« (2019). © Showtime/Sky

Abby McEnany und Theo Germaine in »Work in Progress« (2019). © Showtime/Sky

Abby steckt in der Krise. Und das nicht erst seit gestern. Sie hat issues, viele. Damit hat sie nicht nur Jahre in Therapie verbracht, sondern schreibt auch manisch alles in ihren Notizbüchern auf. Von denen gibt es Hunderte, die sich über die Jahre angesammelt haben. Die Mitvierzigerin ist lesbisch, seit langem Single, wird wegen ihres butchen Aussehens immer wieder für einen Mann gehalten und ist rundum mit sich unzufrieden und ihres Lebens müde. Nun sitzt sie bei ihrer Therapeutin im Sessel und eröffnet ihr, dass sie sich in 180 Tagen umbringen wird, wenn die Dinge nicht besser werden. »Ich bin fett, 45 und eine Lesbe, die nichts auf die Reihe kriegt, und das soll meine Identität sein?«, fasst sie resigniert zusammen und erzählt von ihrer übergriffigen Kollegin, die ihr unaufgefordert vergiftete Ratschläge erteilt und eines Tages eine Packung Mandeln mitbringt. Von diesen Mandeln, 180 Stück, will Abby nun jeden Tag eine wegwerfen. Und wenn am Ende nur noch eine übrig ist und es ihr noch immer nicht besser geht, macht sie Schluss. Aus, Ende, vorbei. 

Das Leid ist ihr anzusehen, und doch hat es einen komischen Unterton; es ist eine delikate Gratwanderung, die hier wie in allen acht Folgen der Serie hervorragend funktioniert. Als sie nach der Suizid­ankündigung zu ihrer Therapeutin blickt, sitzt diese leblos im Sessel. Tot. Auch sie lässt sie also im Stich. 

Gespielt wird Abby von der in Deutschland bislang nahezu unbekannten Impro-Comedian Abby McEnany. Die achtteilige Showtime-Produktion »Work in Progress«, seit Mitte Februar in wöchentlichen Doppelfolgen auf Sky, basiert auf ihrer autobiografisch geprägten One-Woman-Show, die in der US-amerikanischen Stand-up-Szene längst Kult ist. Was ihre Serienpersona so erfrischend macht, ist die schmerzhafte Selbstironie, mit der sie die eigenen Schwächen seziert. Was sie daraus macht, ist alles andere als deprimierend, sondern eines der ungewöhnlichsten Comedyformate seit langem, von einer Melancholie durchzogen, die die im Laufe der Jahre erfahrenen Verletzungen nicht versteckt, sondern als Teil des Lebens akzeptiert. Denn der beste, schärfste Humor ist meist aus Schmerz geboren. Und von dem hat Abby überproportional viel abbekommen. 

Kurz nach dem traumatischen Erlebnis in der Therapie sitzt sie mit ihrer Schwester Alison (Karin Anglin) im Café und monologisiert gleich weiter. Die junge, attraktive Frau mit den kurz rasierten Haaren, die sie bedient, hat scheinbar nur Augen für die heterosexuelle Alison. Es ist eine der vielen hübschen Volten, dass sich Chris (Theo Germaine) nicht nur als Transmann entpuppt, sondern tatsächlich auf Abby steht. Und aus dieser unwahrscheinlichen Begegnung entwickelt sich in der neuen Comedyserie »Work in Progress« auf schönste, schräge Weise eine Liebesgeschichte über Generationen und Genderidentifikationen hinweg, dass es eine Freude ist. Das Publikum erfährt so en passant einiges über sexuelle Diversität und Begriffe mit ganz spezifischem lesbischem Humor, der mit seinem sarkastischen Blick auf die Mühen der Existenz ungemein befreiend wirkt.

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