Streaming-Tipp: »Stumptown«
Cobie Smulders in »Stumptown« (Serie, 2019). © American Broadcasting
Ganz gleich, ob man nun der Meinung ist, wir seien noch mitten drin im goldenen Serienzeitalter, oder doch eher das Gefühl hat, dessen Dämmerung habe längst eingesetzt, ist eines klar: Den Ton der vergangenen Jahre haben – wenn von amerikanischen Serien die Rede ist – eigentlich ausschließlich Produktionen von Kabel- und Bezahlsendern sowie Streamingdiensten angegeben. Das sogenannte Network-TV, also das Programm der fünf großen, in den USA frei empfangbaren Sender, stellt zwar immer noch die meisten der quotenmäßig erfolgreichsten Serien, von »NCIS« über »Young Sheldon« bis »This Is Us«. Doch Online-Hype, Kritikerhymnen oder Emmys lassen sich damit kaum gewinnen.
Dass es allerdings durchaus auch dort gut gemachte Serien gibt, beweist aktuell zum Beispiel »Stumptown« (bei uns ironischerweise im Pay-TV zu sehen) – und zeigt nebenbei, wie sehr sich inzwischen die auf Massengeschmack zugeschnittenen Produktionen von der cooleren, für Gesprächsstoff sorgenden Konkurrenz beeinflussen lassen.
Im Zentrum von »Stumptown« steht, basierend auf den gleichnamigen Graphic Novels von Showrunner Greg Rucka, mit Dex Parios (Cobie Smulders) eine klassische Antiheldin, wie sie auch bei Netflix oder Showtime nicht fehl am Platz wäre. Die bisexuelle Ex-Soldatin trägt seit dem letzten Afghanistaneinsatz ein Trauma mit sich herum, trinkt und spielt zu viel, steht auf One-Night-Stands und lässt außer ihrem Bruder mit Downsyndrom (Cole Sibus) sowie dem besten Freund (Jake Johnson) niemanden an sich heran. Um irgendwie über die Runden zu kommen, verdingt sie sich in Portland als Privatdetektivin für Aufträge aller Art, zunächst auch ohne Lizenz. Kein Wunder also, dass sie immer wieder der Polizei (Michael Ealy & Camryn Manheim) in die Quere kommt.
Weil Network-Serien in erster Linie stets nicht den Großstadt-Millennial, sondern die konservative Familie im Mittleren Westen als Zielpublikum anpeilt, übertreibt es »Stumptown« natürlich nicht, was Gewalt, Sex und Ähnliches angeht. Auch an den etablierten Erzählmitteln sogenannter Procedurals wird nicht gerüttelt: Wie eigentlich alle Ermittler in vergleichbaren, auf wöchentliches statt bingendes Publikum angelegten Serien löst Dex jede Folge einen neuen, eher leichtfüßig humorvoll als wirklich spannend erzählten Fall. Alles, was sich darüber hinaus an übergeordneter Handlung durch die erste Staffel zieht, ist eher Beiwerk – und nie richtig düster.
Dass all das nicht piefig wirkt, liegt einerseits an einem fantastischen Soundtrack, der aus stilsicher ausgewählten Hits der 70er, 80er und 90er besteht und nicht zuletzt die Actionszenen sehr lässig und geradezu kinotauglich untermalt. Und andererseits an Cobie Smulders, die nach »How I Met Your Mother« bei ihren Kinoabstechern (»Jack Reacher«, »Avengers«) nie ihr Können zeigen durfte, hier aber, eingebunden in glaubwürdige Figurenbeziehungen, eine bemerkenswerte Präsenz an den Tag legt, die locker eine ganze Serie trägt.
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