Streaming-Tipp: »Hollywood«
Michelle Krusiec und Laura Harrier in »Hollywood« (Miniserie, 2020). © Netflix
In den Nachkriegsjahren – und viele Dekaden danach – war Hollywood, und damit ein Großteil der kulturellen Produktion Amerikas, fest in den Händen weißer, heterosexueller Männer. Offen schwule Filmstars: undenkbar. Farbige Helden: Kassengift. Frauen in Führungspositionen: scheitern an der Glasdecke. So funktionierte das System und tut es in vielen Teilen bis heute. Über-Produzent Ryan Murphy, mit Serien wie »Glee« und »American Horror Story« Vorreiter in Sachen Diversität und Sichtbarkeit nicht traditioneller Charaktere, schreibt mit seiner neuen Serie »Hollywood« nun Teile der Filmgeschichte radikal um und liefert mit der Murphy-typischen Mischung aus Glamour und Sex eine sehr gegenwärtige Utopie. Im Mittelpunkt steht dabei eine Gruppe junger, hoffnungsvoller Talente, die alle von einer Karriere vor oder hinter der Kamera träumen, aber mit dem vermeintlichen Manko geschlagen sind, die falsche Hautfarbe oder sexuelle Orientierung zu haben.
Wie das afroamerikanische Starlet Camille (Laura Harrier), das immer wieder mit stereotypen Miniauftritten als Magd abgespeist wird – bis ihr Lebensgefährte Raymond (Darren Criss), ein aufstrebender Regisseur, ein Drehbuch bekommt, dessen Titelrolle perfekt zu ihr passen würde. Wenn sie weißhäutig wäre. In sieben Episoden fabuliert »Hollywood«, wie sich ein unerwartetes Netzwerk aus Nobodys und Outsidern bildet, von der unterschätzten Ehefrau des Studiobosses (Patti LuPone) bis zum naiven Provinzburschen mit Starpotenzial (Jack Costello), entgegen allen Traditionen und Widerständen mehr und mehr Rädchen ineinandergreifen und sich die richtigen Leute zur richtigen Zeit am richtigen Ort zusammenfinden und sich Ende der 1940er das Unmögliche trauen: den Dreh eines Hollywoodfilms mit schwarzer Heldin, geschrieben von einem schwulen Afroamerikaner (Archie Coleman). Ein Traum, zu schön, um wahr zu sein.
Was Murphy daraus kreiert, ist zum Teil die auf Hochglanz polierte Variante von »Hollywood Babylon«, Kenneth Angers genüsslicher Aufdeckungsbände über schmutzige Gerüchte und nicht jugendfreie Aktivitäten der scheinbar makellosen Leinwandhelden abseits des Rampenlichts, teils alternative Geschichtsschreibung: Was wäre, wenn damals einige Mutige das Versteckspiel nicht mehr mitgemacht und einige Verantwortliche ihre Position riskiert und sich für gesellschaftliche Veränderung starkgemacht hätten?
Einen Teil ihres Reizes zieht die Serie aus dem Wiedererkennen realer Vorbilder, mit denen Murphy und sein Team um Co-Creatorin Janet Mock die Wirklichkeit dem Wunschbild angleichen: Filmstar Rock Hudson (Jake Picking) ist neben Anna May Wong und Hattie McDaniel eine der Figuren mit Klarnamen; andere zeigen deutliche Parallelen zu historischen Zeitgenossen. So basiert Camille lose auf Dorothy Dandridge, die 1955 als erste afroamerikanische Schauspielerin für den Oscar als beste Hauptdarstellerin in »Carmen Jones« nominiert wurde (und am Ende Grace Kelly in »Ein Mädchen vom Lande« unterlag).
Die Serie zeigt demonstrativ die Machtstrukturen hinter den Kulissen, wo es denjenigen, die das Sagen haben, eben ums Gewinnstreben und weniger um die Kunst oder gar um Diversität und Gleichberechtigung geht. Bisweilen handelt der größte Verhinderer selbst mit Doppelmoral wie etwa der homosexuelle Agent Henry Willson (Jim Parsons als wunderbar schmieriger Widerling), der seine Entdeckung Rock Hudson als romantischen Kinohelden aufbauen will und ihm dafür ein strikt heterosexuelles Image fabriziert. Auch Willson existierte wirklich; wie viele andere Produzenten und Castingagenten hinter den Kulissen der Traumfabrik sorgte er mit einer Mischung aus Ehrgeiz und Selbsthass dafür, dass seinesgleichen unsichtbar blieben. In Momenten wie diesen reflektiert »Hollywood« sehr anschaulich, wie das System aus Zensur und Selbstzensur funktionierte – und hebt es schließlich aus den Angeln.
Teile der Kritik haben der Serie ebendies als Geschichtsklitterung und »Fake« vorgeworfen, so als würde das Publikum den fabelhaften Revisionismus nicht als solchen erkennen. Dabei macht gerade dieses zwischen Realität und Fiktion Changierende »Hollywood« so interessant, weil es unverhohlen den amerikanischen Aufstiegstraum zelebriert und ihn zugleich als Mythos ausstellt, weil es das Wissen um das unerreichte Ideal echter Gleichberechtigung und Teilhabe stets mitreflektiert. Dieses trotzige »Was wäre, wenn . . .« wird als 100 Million Dollar teure globale Serie zum bittersüßen Triumph.
Ihre Meinung ist gefragt, Schreiben Sie uns