DVD-Tipp: »Red Secrets – Im Fadenkreuz Stalins«

© Koch Films

Was die Leute hören wollen

1933 plädiert der junge Reporter Gareth Jones, der mit einem Hitlerinterview einen Coup landete, leidenschaftlich für eine Allianz mit Stalin, um Hitler zu stoppen. Dennoch stellt sich der Stalin-Fan die Frage, wie die Bolschewiken die stürmische Modernisierung ihres Landes finanzieren. Als er seine Stelle als Politikberater verliert, reist der Waliser auf eigene Faust nach Moskau, um mit Stalin zu sprechen. Wie alle Korrespondenten muss er im Prachthotel Metropol Quartier beziehen. Während seine Kollegen ihre Desillusionierung angesichts des stalinistischen Staatsterrors mit Orgien betäuben, entwischt Jones den Aufpassern, um das Gerücht einer Hungerkatastrophe in der Ukraine, der »Kornkammer Europas«, vor Ort zu überprüfen.

Agnieszka Hollands aufwühlendes Historiendrama verweist zwingend auf die politische Gegenwart. Gareth Jones, einer der wenigen Reporter, die auf den Holodomor (ukrainisch für »Hungersnot«) aufmerksam machten, wird in der Ukraine als Held verehrt. Im Zuge der Kollektivierung der Landwirtschaft verhungerten fünf Millionen Menschen, darunter 3,9 Millionen Ukrainer. Doch der Film befeuert nicht nur die Debatte, ob dieser Massenmord, mit dem Stalin zugleich die widerständige Bauernschaft vernichten wollte, als Genozid gelten kann. Neben historischen werden fiktive, nach aktuellen Vorbildern geformte Figuren eingeführt wie zum Beispiel Jones' Informant Paul Kleb, eine Verbeugung vor dem 2004 ermordeten Paul Klebnikov. Kommentiert wird die Handlung von Zitaten aus George Orwells Parabel »Farm der Tiere«, die wahrscheinlich von Jones' Berichten inspiriert ist. Und der Zeitungskrieg, der nach Jones' Enthüllung ausbrach, erinnert verblüffend an die aktuelle »Fake News«-Debatte.

Leider kommen die konkreten Anliegen des Films – eine Würdigung von Gareth Jones und das Gedenken an ein kaum beachtetes Menschheitsverbrechen – etwas kurz. Holland inszeniert Jones' Reise ins Herz der Finsternis als alptraumhaft-surreale Odyssee durch eine von Leichen übersäte Schneewüste, in der apathische Kinder ihr Essen mit dem vor Hunger halb toten Jones teilen. In hypnotischen Bildern wird das Bemühen spürbar, die Opfer und den Horror ihres Überlebenskampfes nicht postum an einen billigen Voyeurismus zu verraten. Und doch möchte man mehr wissen. Jones selbst erscheint als tragischer Held, der vergeblich vor zwei Diktatoren warnt und dessen Elan einer abgrundtiefen Erschütterung weicht. Angesichts dieses fleckenlosen Porträts wirkt sein Gegenspieler Walter Duranty von der »New York Times« umso interessanter. Der Stalinapologet – »Man kann kein Omelett machen, ohne Eier zu zerschlagen« – versucht, Jones zu diskreditieren, völlig d'accord mit den Regierungen, die mit den Sowjets Wirtschaftsbeziehungen aufnehmen wollen. Log er, um seinen Status als Platzhirsch nicht zu verlieren, oder wurde er erpresst? Letztlich handelt der Film von der Niederlage der unvorstellbar grausamen Wahrheit gegen die bequeme Lüge, die, so Hannah Arendt, häufig viel einleuchtender erscheint, weil der Lügner im Voraus weiß, »was das Publikum zu hören wünscht«.

Mr. Jones, POL/UKR/GB 2019. R: Agnieszka Holland. Da: James Norton, Vanessa Kirby, Peter Sarsgaard, Kenneth Cranham, Joseph Mawle. L: 141 Min. A: Koch Films.

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